[GELESEN UND GEHÖRT] Viermal Holmes

Es ist vermutlich schon aufgefallen, dass ich eine kleine Leidenschaft für einen gewissen englischen Detektiv namens Sherlock Holmes hege. Ich habe ihn hier sicherlich schonmal erwähnt, so am Rande – höchstens ein-, zweihundert Mal.
Zwar versuche ich, meinen Lesekonsum in diesem Bereich im Zaum zu halten, aber im letzten Monat scheint mir das eher mäßig gelungen zu sein. Aber was soll man machen? Es gibt eben  Zeiten, in denen man von einem Thema so gepackt ist, dass man alles darüber erfahren möchte. Alles! Weil wir in diesem Jahr ohnehin 130 Jahre Sherlock Holmes feiern, geht das vom Timing her sogar in Ordnung.
Damit aber nicht jeder Artikel hier Sherlock Holmes thematisiert, habe ich diesmal ein wenig gesammelt, bevor ich meine Eindrücke zu den verschiedenen Büchern zu (digitalem) Papier gebracht habe. Da man Holmes offenbar in allen Gattungen der Literatur begegnen kann, haben wir diesmal einen schönen, bunten Format-Mix im Angebot: Hörbuch, Pastiche-Roman, Sachbuch und Comic.

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[HÖRBUCH]

Sherlock Holmes: The Definitive Collection

von Sir Arthur Conan Doyle, gelesen von Stephen Fry

Verlag: Audible Studios, Spieldauer: 71 Stunden und 2 Minuten, Ersterscheinung: 2017, ASIN: B06X1BS4GK

Seit ein paar Monaten gehe ich regelmäßig ins Fitnessstudio. Was zunächst wirklich keine Beschäftigung war, die in mir besonderen Enthusiasmus ausgelöst hätte. Aber was muss, das muss. Deshalb beschloss ich, das Training einfach mit etwas zu kombinieren, das ich mag. Und dieses Etwas war eben Sherlock Holmes. Da mein Lieblingspodcast, I hear of Sherlock Everywhere, allerdings nur alle zwei Wochen erscheint, musste ich mich anderweitig nach Sherlock-Content umsehen, der mir als akustische Untermalung fürs Turnen dienen könnte. Da kam es mir sehr gelegen, dass Audible im Februar die kompletten Holmes Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle als Hörbuch veröffentlicht hatte. Gelesen von niemand geringerem als Stephen Fry – seines Zeichens bekennender Sherlockianer und Mitglied der Sherlock Holmes Society of London.

Aber Fry liest nicht nur vor, er hat auch zu jedem der Romane und Geschichtsbände ein Vorwort verfasst. Darin geht er nicht nur auf die Figuren und die Besonderheiten der Geschichten ein,  sondern beschreibt auch seine eigenen Erfahrungen mit dem Detektiv und wie er selbst zum Sherlockianer wurde. Diese kleinen Einschübe haben mir das eine oder andere Schmunzeln abgerungen und verleihen dem Hörbuch eine ganz perönliche Note.
Aber auch die Lesung selbst kann sich durchaus hören lassen. Stephen Fry hat einfach ganz generell eine sehr angenehme Vorlesestimme. Hinzu kommt, dass sich sein Holmes und sein Watson ganz genau so anhören, wie ich sie mir vorgestellt hätte. Holmes ziemlich vornehm, recht akkurat in der Aussprache, mit einem Hauch Arroganz in der Stimme. Und Watson mit einem deutlich hörbaren Schnauzbart. Im Grunde gelingen ihm alle Figuren gut – mit Ausnahme vielleicht von denen, die mit einem amerikanischen Akzent sprechen. Aber alles in allem habe ich an der Lesung kaum etwas auszusetzen.
Allerdings ist die Navigation etwas umständlich: Die Sammlung ist in sechs Teile gegliedert – wogegen natürlich nichts auszusetzen ist. Aber einige davon beinhalten sowohl Romane als auch Kurzgeschichten. Man sieht jedoch nicht, wo der Roman aufhört und die Kurzgeschichten anfangen, da weder die sechs Teile noch die Kapitel eine separate Beschriftung tragen. Das mag in Ordnung sein, wenn man chronologisch alle Erzählungen einmal durchhören will, passt mir aber nicht so gut in den Kram, weil ich a) die Kurzgeschichten lieber mag als die Romane und b) meine Favoriten gern gezielt anwählen würde. Aber gut, bereut habe ich den Kauf trotzdem nicht. Stephen Fry macht die umständliche Navigation quasi wieder wett.


[ROMAN]

Mr. Holmes

von Mitch Cullin

Verlag: Canongate Books Ltd., Ersterscheinung: 2005 (unter dem Titel: A Slight Trick of the Mind), Seiten: 253, ISBN: 9781782113317, Deutscher Titel: Bisher nicht erschienen

Wer hier einen ganz klassischen Pastiche erwartet, wird vermutlich etwas enttäuscht sein. Denn Mr. Holmes ist keine gewöhnliche Abenteuergeschichte, wie wir sie von Sherlock Holmes gewohnt sind. Es ist in meinen Augen eher eine Charakterstudie als alles andere.

Wir treffen hier auf einen 93-jährigen Holmes, der zurückgezogen in Sussex lebt und sich der Bienenzucht widmet. Das, was Holmes einst ausgemacht hat – sein Gedächtnis – lässt ihn in letzter Zeit immer öfter im Stich.
Der Roman setzt sich dabei aus drei Erzählsträngen zusammen – wir begleiten Holmes auf einer Japanreise, einem Fall aus der Vergangenheit, den er zu Papier bringt und der Gegenwart in Sussex, deren Gleichgewicht durch einen recht tragischen Unfall ins Wanken gerät. In jeder dieser drei Geschichten erfahren wir etwas anderes über Holmes – unter anderem, wie er mit fortgeschrittenem Alter zu seinem früheren Ich steht. Das gefiel mir gut.
Auf dem Einband sind allerdings Pressestimmen wie „Heartbreaking“ oder „Wise and touching“ abgedruckt. Das kann ich nicht so wirklich bestätigen. Theoretisch wären alle Elemente dagewesen um mir ein paar Tränen abzuringen, aber am Ende ist es der Geschichte nicht gelungen, mich zu bewegen. Vielleicht weil Holmes und Sentimentalität in meinen Augen nicht so wirklich zusammenpassen.

Zweifellos fand ich den Ausflug in die Welt des alternden Holmes interessant. Aber ich denke, er wird mir nicht allzu lang im Gedächtnis bleiben. In Anbetracht von Holmes schwindenden Erinnerungsvermögen in diesem Buch, vielleicht ein gewollter Effekt.

Die Verfilmung des Buches werde ich mir trotzdem noch anschauen. Vorrangig aber wohl wegen Ian McKellen, der darin den Detektiv verkörpert.


[SACHBUCH]

Von Mr. Holmes zu Sherlock: Meisterdetektiv. Mythos. Medienstar 

von Mattias Boström

Verlag: btb Verlag, Ersterscheinung: 2015, Seiten: 608, ISBN: 9783442713363, Originaltitel: Från Holmes till Sherlock (2014), aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann und Hanna Granz

Mattias Boström ist einer der bekanntesten Sherlockianer weltweit. Mit Spannung erwartet man deshalb momentan die Veröffentlichung der englischen Übersetzung seines schwedischen Bestsellers Från Holmes till Sherlock, die im August unter dem Titel From Holmes to Sherlock: The Story of the Men and Women Who Created an Icon erscheinen wird. Ich war schon im Begriff, mich der Riege der Vorbesteller anzuschließen, als ich bemerkte, dass eine deutsche Übersetzung bereits vor 2 Jahren veröffentlicht wurde. Hallelujah! Das passiert wirklich nicht aller Tage.

Der Autor nimmt uns hier mit auf eine spannende Reise in die große, weite Welt des Sherlock Holmes – von den Anfängen in Beeton’s Christmas Annual bis hin zum Internetkult rund um die BBC Serie. Wobei es im Grunde tatsächlich weniger um die Figur selbst geht, sondern eben um die Menschen, die sie erschaffen, über knapp 130 Jahre hinweg am Leben erhalten und immer wieder neu erfunden haben.

In meinen Augen eignet sich Von Mr. Holmes zu Sherlock sowohl gut als Einstieg, falls man beschließt, tiefer ins Thema Holmes einzusteigen, als auch um als eingefleischterer Fan noch einmal die Greatest Hits Revue passieren zu lassen. Ich selbst befinde mich vermutlich irgendwo dazwischen. Soll heißen, einiges von dem, was Mattias Boström berichtet, war mir schon bekannt – aber ich habe mich trotzdem nie gelangweilt. Das Buch ist so unterhaltsam geschrieben, dass es fast schon als Roman durchgehen könnte. Und natürlich habe ich noch viel dazugelernt – insbesondere über die Familie Conan Doyle.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass die Epoche der 80er Jahre bis zur Gegenwart ein wenig zu kurz gekommen ist. Gerade über die Zeit der Grenada Produktion mit Jeremy Brett als Holmes und über die BBC Serie mit Benedict Cumberbatch – die mich selbst erst zum Thema Holmes geführt hat – hätte ich gerne noch mehr erfahren.
Allerdings hat der Autor unter einen meiner Instagram Posts kommentiert, dass die englische Ausgabe 20 zusätzliche Kapitel über eben diese Zeitspanne enthalten wird. Dann muss ich mich wohl doch wieder in die Warteschlange einreihen…


[COMIC]

The Trial of Sherlock Holmes (Sherlock Holmes Dynamite #1)

von Leah Moore, John Reppion und Aaron Campbell

Verlag: Dynamite Entertainment, Ersterscheinung: 2009, Seiten: 179, ISBN: 9781606900598, Deutscher Titel: Bisher nicht erschienen

Sherlock Holmes im Comic – kann das funktionieren?
Ich war da eher skeptisch. Schließlich sind viktorianische Gentlemen nicht unbedingt das, was man sich unter Comichelden vorstellen würde.
Außerdem sind es oft die, von Conan Doyle gerne in einem Nebensatz versteckten, Details, die den Detektiv auf die richtige Spur bringen, dem Leser aber oft verborgen bleiben und deshalb am Ende für eine Überraschung sorgen.
Ein Comicbuch bietet da weniger Spielraum, da uns hier nicht nur Dialog sondern auch Bildmaterial zur Verfügung steht.

Aber ich sollte wieder einmal eines Besseren belehrt werden.

Wie der Titel schon vermuten lässt, wird Sherlock Holmes hier selbst eines Verbrechens bezichtigt. Ein Mann wurde in einem verschlossenen Raum ermordet, in dem sich nur das Opfer und Holmes befanden. Die Beweislage sieht düster aus für den Detektiv.
Ob er es am Ende trotzdem schafft, den eigenen Karren aus dem Dreck zu ziehen, wird natürlich an dieser Stelle nicht verraten.
Was ich aber sagen kann ist, dass The Trial of Sherlock Holmes im Grunde alles bietet, was man von einer klassischen Holmes Geschichte erwartet: einen verzwickten Fall, Deduktionen, falsche Fährten und geschickte Täuschungen, eine Prise Humor und natürlich die Charaktere, die man liebgewonnen hat. Mrs. Hudson, Mycroft, Lestrade und Dr. Watson – alle sind sie dabei.
Anfangs fiel es mir zwar etwas schwer, die verschiedenen Figuren auseinander zu halten – Lestrade und Watson sehen sich hier beispielsweise recht ähnlich. Aber als man sich erstmal an den Zeichnungsstil gewöhnt hatte, ging es ganz gut.
Im Anschluss an die eigentliche Geschichte gibt es hier obendrein noch einiges an Zusatzmaterial. Man erfährt beispielsweise, wie der Comic entstanden ist und welche Probleme es bei der Entwicklung der Geschichte gegeben hat – was ich beinahe so spannend fand wie die Story selbst. Als Sahnehäubchen enthält das Buch außerdem auch noch eine klassische Conan Doyle Geschichte mit neuen Illustrationen.

Ich bin ziemlich sicher, dass ich auch noch die anderen Comics der Sherlock Holmes Dynamite Reihe lesen werde – allerdings sind die mit knapp 20 EUR pro Ausgabe doch recht kostspielig. Naja, vielleicht bringt sie mir der Weihnachtsmann in diesem Jahr…


So, das soll’s erstmal gewesen sein mit dem Statusbericht von der Holmes-Front. Falls ihr noch Vorschläge und Lesetipps zum Thema habt, immer raus damit. Man kann schließlich nie genug Sherlöcke im Bücherregal haben.

There are 11 comments

  1. ainu89

    Super Beitrag!
    Mich hat Sherlock Holmes auch schon immer fasziniert aber so richtig auf den Riecher bin ich erst gekommen, als ich die Serie mit Cumberbatch gesehen habe…seitdem hab ich mehrere seiner Geschichten gelesen, mehrere der Verfilmungen und andere Serienadaptionen geschaut und bin natürlich nach wie vor ein großer Fan der Cumberbatch – Serie ;-)!

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    1. Karo

      Vielen Dank!
      Es ist schön, andere Holmes Enthusiasten zu treffen – dieses Internet ist doch eine ganz gute Erfindung 🙂 Ich bin auch durch die Cumberbatch Serie auf den Trichter gekommen. Welche andere Serienadaptionen hast du noch gesehen? (Ich bisher nur die mit dem großartigen Jeremy Brett. Und Dr. House – der ja im Grunde Holmes als Mediziner ist.)

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      1. ainu89

        Ja, ab und an ist das Internet schon was tolles ;-)!
        Ich meinte eh auch die Serie mit Jeremy Brett und wie ich gestehen muss mag ich auch Elementary ganz gern. Wobei ich voll verstehen kann wenn die Leute sagen, dass sich die Figur da schon viel zu weit vom eigentlichen Charakter entfernt hat und sich nicht mehr wie Holmes anfühlt. Aber mir gefällt die Dynamik zwischen Miller und Liu und die Fälle find ich auch immer ganz spannend – bin aber allgemein auch so ein kleiner Fan von Crime Procedural Serien.

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      2. Karo

        Ich muss mir Elementary auch unbedingt endlich mal anschauen. Gerade vom Ü30 Publikum habe ich davon eigentlich nur Positives gehört.
        Was sagst du zu den Filmen mit Robert Downey Jr.? Die mag ich ja auch ganz gern.

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  2. luiseblaettertauf

    Ich bin genauso wie du ein absoluter Sherlock Holmes Fan. Ich würde ihn als meine liebste Buchfigur bezeichnen. Die Kriminalgeschichten sind durch die Deduktionen von Sherlock und verknüpft mit der wunderbaren Freundschaft zu Watson so genial erzählt. Ich liebe die Bücher, die Serie und Filme. Mein liebstes Buch ist eine illustrierte Rätselausgabe, in denen man selbst knifflige Aufgaben im Stil von Sherlock lösen muss! Ich würde sagen, wir sind sherlocked 🙂

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    1. Karo

      Ach wie schön hier Sherlockianer zu treffen 🙂
      Ich bin finde ja auch, dass die Freundschaft zwischen Holmes und Watson die Geschichten zu etwas Besonderem machen. Ohne das wären es zwar immernoch gute Geschichten, aber eben nur halb so schön.
      Die Rätselausgabe kenne ich noch gar nicht. Werde ich mir gleich mal anschauen. Danke für den Tipp! 🙂

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      1. luiseblaettertauf

        ich werde bald mal einen Beitrag dazu schreiben. Allerdings habe ich die Rätselausgabe in Schottland in einem kleinen Lädchen entdeckt. Ich befürchte, dass es das im Deutschen gar nicht gibt…

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  3. kai

    Habt Ihr Euch eigentlich auch an den Kopf gefasst rsp. den Glauben verloren, als Stephen Fry im Foreword zu STUD (in Sherlock Holmes: The Definitive Collection) nach 1min20sec von „John D.Watson“ spricht? Aber ich hätte gewarnt sein sollen, hat der grosse Stephen mir doch eines seiner Bücher nicht nur signiert, sondern auch noch mit einem falschen Holmes-Zitat zugeeignet (OK, nur EIN Wort ist falsch, aber ein sehr wichtiges!)

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    1. Karo

      Tjoa, Fehler passieren eben hin und wieder mal. Ich finde, es tut der Sache insgesamt keinen Abbruch. Was zählt, ist doch vor allem der Enthusiasmus und die Liebe zu den Geschichten – und die merkt man Fry ganz deutlich an.
      Was hat er denn geschrieben? ‚Elementary‘ statt ‚Exactly‘?

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  4. kai

    Lach, nein…likely statt unlikely. Und die Lesungen sind tatsächlich wundervoll! Die letzten Abende hat mich Mr Fry mit dem HOUN in den Schlaf gewiegt, ganz wundervoll. I mean, what!? (PS: Angeregt durch einen Beitrag hier, habe ich mir nochmal die herrliche Vincent-Folge von Doctor Who angeschaut…immer wieder schön!)

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