[IM SPOTLIGHT] John Watson

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Heute geht meine kleine „Im Spotlight“-Serie in die zweite Runde. Diesmal steht eine Figur im Rampenlicht, die eigentlich sonst eher die zweite Geige spielt. Mütter sperrt eure Töchter ein, denn hier kommt: Doktor. John. Watson!


WER IST JOHN WATSON?
Dr. John H. Watson ist eine Figur aus den Sherlock Holmes Kurzgeschichten und Romanen des britischen Autors Sir Arthur Conan Doyle.
Er ist der Gefährte, Mitbewohner, Biograph und einzige Freund des berühmten Detektivs aus der Baker Street. Watson fungiert darüber hinaus als Erzähler bei 53 der 56 Sherlock Holmes Geschichten.

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John H. Watson (Illustration: Sidney Paget)

BACKSTORY
Watsons genaues Geburtsdatum ist nicht bekannt, wird aber am Anfang der 1850er Jahre angesiedelt. Er studierte an der University of London und erhielt dort im Jahr 1878 seinen Doktortitel im Fach Medizin.
Nach seinem Studium schloss sich Watson der britischen Armee an und war zunächst in Indien stationiert. Während des zweiten anglo-afghanischen Krieges wurde Watson nach Afghanistan versetzt und in der Schlacht von Maiwand (1880) verwundet. Nachdem er zusätzlich an Typhus erkrankt war, wurde er nach seiner Genesung nach England zurückgeschickt. Da seine Versehrtenrente nicht gerade großzügig ausfiel, war Watson gezwungen, sich nach einem Mitbewohner umzusehen. Durch seinen alten Freund, Stamford, macht Watson die Bekanntschaft des genialen, wenngleich recht exzentrischen, Detektivs Sherlock Holmes, der, genau wie Watson, nach jemandem sucht, mit dem er die Miete teilen kann. Watson bezieht zusammen mit Holmes die Wohnung mit der berühmten Adresse 221b Baker Street, im londoner Stadtteil Westminster. Der Doktor zeigt bald Interesse an den Ermittlungsarbeiten seines Mitbewohners und unterstützt ihn schließlich dabei. Ihre Abenteuer hält Watson in Geschichten fest, die er später auch veröffentlicht.

FAMILIE UND FREUNDE
Über Watsons Kindheit und Familie ist wenig bekannt. Erwähnt werden sein Vater, H. Watson, und sein Bruder, dessen Name nicht genannt wird – wohl aber, dass er Alkoholiker war. Beide sind allerdings bereits verstorben bevor Watson nach seinem Kriegsdienst nach England zurückkehrt.

Aus der zunächst zweckmäßigen Wohngemeinschaft mit Sherlock Holmes entwickelt sich schnell eine Freundschaft, die zu den wohl berühmtesten der Literaturgeschichte zählen dürfte.

Während der Ermittlungen in The Sign of Four (Im Zeichen der Vier) verliebt sich Watson in Holmes‘ Klientin Mary Morstan, der er am Ende der Geschichte einen Heiratsantrag macht. Nach seiner Heirat verlässt Watson die Baker Street und er und Holmes driften ein wenig auseinander. Da Mary nach wenigen Ehejahren verstirbt, bezieht Watson sein altes Quartier später jedoch erneut. Da einige Geschichten zu einer Zeit spielen, in der Mary bereits tot war, aber dennoch eine Ehefrau erwähnt wird, weiß man, dass Watson mindestens ein zweites Mal geheiratet haben muss, auch wenn seine Ehepartnerin im Kanon nicht explizit vorgestellt wird.

NAME UND NAMENSFINDUNG
Wie aus dem Manuskript des ersten Romans A Study in Scarlett (Eine Studie in Scharlachrot) hervorgeht, hatte Conan Doyle für seine beiden Hauptfiguren zunächst die Namen Sherrinford Holmes und Ormond Sacker auserkoren, die er bekanntermaßen vor Veröffentlichung in Sherlock Holmes und John H. Watson änderte.
Wofür das H am Anfang von Watsons zweitem Vornamen steht, wird in den Geschichten nicht erwähnt und bietet daher Anlass für Spekulationen. Die Autorin Dorothy L. Sayers vertrat die These, dass der zweite Vorname Hamish lauten müsse. Grund dafür ist die Geschichte The Man With the Twisted Lip (Der Mann mit der entstellten Lippe), in der Watsons Frau ihn fälschlicherweise mit dem Namen James anspricht und Hamish die schottische Variante dieses Namens ist. Einige Adaptionen, wie auch die BBC Produktion Sherlock, haben den Namen Hamish anschließend übernommen.

AUSSEHEN
Nach seiner Rückkehr aus Afghanistan beschreibt sich Watson als gebräunt und abgemagert. In späteren Geschichten, nachdem sich sein Gesundheitszustand erholt hat, wird er als mittelgroßer, kräftig gebauter Mann mit Schnauzbart beschrieben. Auch wenn nicht viel mehr über Watsons Äußeres verraten wird, wird impliziert, dass er ein attraktiver Mann ist. So spricht Holmes beispielsweise in der Geschichte The Retired Colourman von Watsons „natural advantages“.
Während seines Militärdienstes wurde Watson verwundet – auch wenn Sir Arthur Conan Doyle sich offenbar nicht ganz sicher war, welche von Watsons Gliedmaßen dabei in Mitleidenschaft gezogen wurden. In A Study in Scarlett berichtet Watson von einer Schusswunde in der Schulter, während diese in The Sign of Four plötzlich in sein Bein gewandert zu sein scheint.

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Watson (links) und Holmes (Illustration: Sidney Paget)

CHARAKTER
John ‚Blödian‘ Watson
Es erscheint zwar einigermaßen absurd, dass ein Genie einen Idioten als besten Freund wählen würde, aber dennoch wird Watson in vielen Adaptionen der Geschichten als Dummkopf dargestellt. Dies entspricht jedoch nicht der Beschreibung in den Werken Sir Arthur Conan Doyles. Hier ist Watson nicht nur ein fähiger und angesehener Arzt sondern auch intelligent, belesen und besitzt eine gute Beobachtungsgabe. Holmes schätzt Watson als ebenbürtigen Gesprächspartner, der ihm sogar in den Gebieten, in denen er wenig Wissen besitzt, aushelfen kann. Dass Watson dennoch häufig als dümmlich eingeschätzt wird, beruht wohl vor allem auf dem Kontrast zu seinem genialen Gefährten Sherlock Holmes, mit dessen intellektuellen Fähigkeiten es wohl die wenigsten aufnehmen könnten. Watson ist sich dessen bewusst und schätzt seine Fähigkeiten und Grenzen entsprechend ein.

Der treue Begleiter
Watson ist loyal, mutig und steht seinem Freund bei seinen Abenteuern zur Seite, auch wenn dieser augenscheinlich nicht immer der angenehmste Gefährte ist und sich nicht allzu sehr um die Gefühle anderer schert. Dabei bleibt Watson stets bodenständig, geduldig, bescheiden und fungiert so abermals als Kontrast zu seinem Freund, Sherlock Holmes, der zu Arroganz, Ungeduld und Überheblichkeit neigt.
Watson ist ein Mann der Tat und hat im Gegensatz zu Holmes, dessen wichtigste Waffe sein Verstand ist, oft einen Revolver zur Hand.
Er stört sich nicht daran, in den Augen des Gesetzes ein Verbrechen zu begehen, solange dies seinem Verständnis von Ehre und Moral entspricht. So brechen Holmes und Watson beispielsweise in die Wohnung des Erpressers Charles Augustus Milverton ein, um dort einen Brief zu stehlen, der eine Klientin von Holmes in Misskredit bringen würde.

Lady’s Man
Ganz anders als sein Kompagnon zeigt Watson einiges Interesse am weiblichen Geschlecht. Im Roman Sign of Four erwähnt Watson, dass er bereits diverse Erfahrungen mit Frauen gemacht hat. So heißt es dort: „In an experience of women which extends over many nations and three separate continents, I have never looked upon a face which gave a clearer promise of a refined and sensitive nature.“ Diese, für die damalige Zeit doch recht offene, Aussage bescherte der Figur in einigen Fan-Kreisen den Namen John „Three Continents“ Watson. Auch seine Beschreibungen von Holmes Klientinnen zeugen davon, dass Watson sich eindeutig zu Frauen hingezogen fühlt und ihre Schönheit, Aufrichtigkeit oder ihren Mut bewundert – wohingegen Sherlock Holmes Frauen grundsätzlich misstraut.

The game is on
In der Geschichte Shoscombe Old Place lässt Watson verlauten, dass er gut die Hälfte seiner Veteranenpension beim Pferderennen einsetzen würde. Er ist also dem Glückspiel nicht abgeneigt. Das könnte auch der Grund dafür sein, dass sein Scheckbuch in einer Schublade verwahrt ist, zu der nur Holmes einen Schlüssel hat, wie in der Geschichte The Dancing Man (Die tanzenden Männchen) geschildert wird.

WATSON IN FILM UND FERNSEHEN
Die Sherlock Holmes Geschichten wurden bereits weit über 200 Mal in verschiedenster Form in Film- und Fernsehproduktionen adaptiert – häufig mit Watson als treuem Begleiter, wenngleich einige Verfilmungen ihn komplett übergingen.
Die Verfilmungen mit Basil Rathbone (1939–1946) etablierten die Figur des Watson, gespielt von Nigel Bruce, als tollpatschigen und dümmlichen Begleiter des Detektivs. Diese Form der Darstellung wurde daraufhin häufig übernommen. Gleichsam gibt es aber viele Adaptionen in denen die Figur Conan Doyles Beschreibung gerecht wird oder die die Beziehung zwischen Holmes und Watson stärker in den Fokus rücken und somit Watsons Bedeutung für Holmes thematisieren – so zum Beispiel die BBC Produktion Sherlock.

Bekannte Darsteller Watsons sind unter anderem Edward Hardwicke und David Burke (beide in der Granada Produktion Sherlock Holmes mit Jeremy Brett als Holmes), Nigel Bruce (zusammen mit Basil Rathbone in 14 Filmen), Martin Freeman (Fernserie Sherlock), Lucy Liu (Fernsehserie Elementary, als weibliche(r) Watson), Robert Duvall (im Film The The Seven-Per-Cent Solution) oder Jude Law (an der Seite von Robert Downey Jr.)

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Watson und Holmes (Illustration: Sidney Paget)

WARUM WIR DR. WATSON LIEBEN
In dieser merkwürdigen Welt, voll von Verbrechern, sonderbaren Kriminalfällen und einem Detektiv, der mehr Hirn als alles andere zu sein scheint, ist Watson unser Auge und Ohr. Durch ihn können wir an den Abenteuern teilhaben und wenn der Detektiv dabei mal zu flink für uns ist, kann Watson an unserer Stelle verlauten lassen, dass ihm etwas nicht einleuchtend erscheint und den Detektiv zwingen, etwas genauer zu erläutern. Und wir denken: „Danke, John – endlich sagt’s mal einer!“
Er sorgt für die menschliche Sicht auf die Denkmaschine Holmes. Dass das notwendig ist, wird schnell klar, wenn man die Geschichten liest, in denen Holmes als Erzähler auftritt…
Sherlock Holmes‘ Fähigkeiten sind beeindruckend – das steht außer Frage. Doch sie sind eher von einer Natur, die beinahe an eine Superkraft grenzt. Watson hingegen stellt seine Stärke anderweitig und eine Spur menschlicher unter Beweis. Er ist loyal, bodenständig und geduldig. Ja, er verzeiht es seinem besten Freund sogar, dass dieser seinen eigenen Tod vortäuscht, ohne ihm etwas davon zu erzählen. Das soll ihm erstmal einer nachmachen!
Natürlich ist Holmes am Ende der Held der Geschichte. Aber Watson… der ist einer von uns.

There are 14 comments

  1. Buchperlenblog

    Huhu!
    Was für ein fantastischer Artikel! Ich gebe zu, ich bin erst seit der Serie mit Cumberbatch ein Fan Sherlocks, aber mit deiner Beschreibung Watsons hast du mich völlig in den Bann gezogen. Klasse, was man alles noch zusätzlich zu ihm erfahren konnte!

    Eine wirklich tolle Reihe!

    Liebe Grüße!
    Gabriela

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    1. Karo

      Danke, Gabriela – ich werd‘ glatt rot! Ich bin auch erst seit der BBC Serie Sherlockianer – aber es macht mir unglaublich viel Spaß die alten Geschichten zu lesen und mehr über das Phänomen Holmes herauszufinden 🙂

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  2. ninakol.

    Hi. Und Danke für die Ehrenrettung von Watson! Einer der meist unterschätzen Charakter der (Krimi) Literatur! Ohne ihn würden wir alle die Geschichten von Holmes nicht lesen, nur als Spinnerei abtun! Nur Watson schlägt die Brücke. Seine Loyalität und Tatkraft gehören definitiv zu Holmes, ohne sie wäre der Consulting Detective nur ein Hirn, dass nicht verstanden würde.
    Und wieder hast Du Dir so viel Mühe gemacht
    Danke und liebe Grüße
    Nina

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    1. Karo

      Oh, danke Nina! Ich dachte, ich forsche mal ein wenig zu Watson, wo er doch sonst nicht so viel Beachtung findet – zu unrecht, wie du ja so schön sagst. Ich hatte wieder viel Spaß beim Schreiben und Recherchieren und bin super happy, dass das Ergebnis gefällt 🙂

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  3. musikuntermradar

    Mir gefällt an Arthur Conan Doyles Watson vor allem, dass er so ein Gegenpart zu Holmes ist. Der menschliche Typ und das Genie, der Beobachter und der Macher. Und trotzdem – oder deshalb – ergänzen sie einander so gut.

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    1. Karo

      Genau 🙂 Sie ergänzen sich perfekt! Die Stärken des einen gleichen die Schwächen des anderen aus. Deshalb finde ich es auch bescheuert, dass Watson oft als blöd dargestellt wird – er ist so wichtig für die Geschichten und für die Figur Holmes.

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  4. Ella W.

    Hey Karo,

    ach, was für ein cooler Beitrag über Watson. 😀 Ich kann dir nur zustimmen, er ist in jedem Fall der Publikumsliebling. Es war total interessant all das zu lesen und ich konnte hier und da sogar noch etwas neues über den Begleiter von Sherlock erfahren. Vielen Dank, dafür! Bereits dein erster Spotlight war super und ich freue mich schon sehr auf den Nächsten. 🙂

    Liebe Grüße
    Ella ❤

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  5. idasbookshelf

    Hallo, liebe Karo!

    Was für ein toller Beitrag! Ich bin auch erst durch die Serie ‚Sherlock‘ auf den Meisterdetektiv und seinen Begleiter aufmerksam geworden – und hatte Dr. John Watson im Grunde vom ersten Moment an ins Herz geschlossen. Wie du schon im letzten Satz bemerkst: er ist einer von uns, und das macht ihn für uns so zugänglich. Wir können uns mit ihm identifizieren und dank ihm verstehen wir auch ein bisschen, was in Sherlocks Kopf vorgeht. Danke für diesen Artikel, er ist so informativ! Ich freue mich schon darauf, alle deine Beiträge zu durchstöbern. :‘)

    Liebste Grüße,
    Ida

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