Klack, Klack, Klack: Notes From a Public Typewriter

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In einem Buchladen in Ann Abor, Michigan, steht in einer ruhigen Ecke eine alte Schreibmaschine. Ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten – ohne WLAN, ohne Backspace- und Entfernen-Taste. Besucher des Geschäfts können diese Schreibmaschine nutzen, um Gedanken loszuwerden, festzuhalten, zu teilen.

Why does this thing
have a hashtag symbol?
They didn’t have Twitter.
#weird

Doch was schreiben Menschen in einer solchen Situation? Hallo? Ich war hier? Willst du mich heiraten? Rettet die Wale? Genau das wollte Buchhändler Michael Gustafson herausfinden, als er die Schreibmaschine in seinem Laden aufstellte. In seinem Buch Notes From a Public Typewriter stellt er nun einige Werke der anonymen Schreiberlinge vor – sind doch manche viel zu schön, zu schade, zu poetisch, zu wertvoll, um in einer Kiste voller Papier zu versauen.

I am a questionable subject for a painting.

Sprache ist ein Mysterium. Es gibt Worte, die nicht von einer in die andere Sprache übersetzt werden können. Auch das Englische hat einige davon hervorgebracht. Eines davon ist sonder. Es beschreibt die plötzliche Erkenntnis, dass Fremde – Passanten in der Fußgängerzone, Besucher einer Bibliothek, Wartende in der Supermarktschlange – ein ebenso komplexes Leben führen wie man selbst. Es ist genau dieses Gefühl, das einen beim Leser der kleinen Textschnipsel aus diesem Buch überkommt.

I ended up alone on my birthday, but being here makes it easy to forget that. Thank you.

Es sind Gedankenfetzen, vielleicht Bruchstücke eines inneren Monologs oder Dramas, die uns hier vorgelegt werden und die uns einen winzigen Einblick in die Welt eines Fremden gewähren. Einige sind trivial, andere bizarr, manche komisch, viele brutal ehrlich, und ein paar herzzerreißend. Laut auflachen und still weinen sind nur zwei der Reaktionen, die die Notizen bei mir hervorgerufen haben.

Wundervoll und faszinierend ist es, zu sehen, welche Gedanken, Geheimnisse und Gefühle Menschen auf der Schreibmaschine teilen. Ist es das familiäre Klackern der Tasten, das man aus Kindertagen kennt, das sie antreibt? Der unmittelbare Effekt, die Gedanken durch Tinte auf Papier visualisieren zu können? Oder das beruhigende Umfeld des Buchladens? Man bekommt das Gefühl, das Tippen auf dieser Schreibmaschine hätte einen beinahe therapeutischen Effekt.

In my much longer days, I knew a girl named J–. Unbeknownst to her, she was the love of my life.
My fear of her rejection is what prevented me to tell her exactly how I felt, and because of that fear I sit here this day a bitter and broken man knowing that the great love of my life belongs to another.

Aber das Buch besteht nicht einzig aus den Botschaften der Fremden. Gustafson gewährt uns einen kleinen Blick hinter die Kulissen und erzählt schöne, informative oder sonderbare Geschichten rund um seinen Buchladen und die Schreibmaschinen. Durch sie wird die Atmosphäre greifbarer. Beinahe kann man das Ratschen des Rades hören, wenn ein neues Blatt Papier eingezogen wird, das Klackern der Tasten, das *Ping* eines neuen Absatzes.

Doch bei all der Schwärmerei hat das Buch doch einen Makel: es ist zu kurz. Und ich sage das jetzt nicht im Sinne von ‚Das Buch ist perfekt und ich habe nichts auszusetzen, außer dass es irgendwann enden musste‘. Nein, das Buch ist tatsächlich zu kurz. Mit seinen 160 Seiten hat man es innerhalb einer Stunde ausgelesen. Und obwohl ich mich an sich nicht beklagen kann, weil diese 160 Seiten ausgereicht haben, um Emotionen zu Tage zu fördern, die andere nach 600 Seiten nicht mal anreißen, blieb ich eine Spur enttäuscht zurück. Ich bin sicher, es gab noch mehr von den wunderbar bescheuerten, witzigen, fröhlichen, wegweisenden, ehrlichen, traurigen, poetischen Notizen. Aber gut: So bleibt wenigstens die Hoffnung auf eine Fortsetzung.

bell peppers with fig jam are better than expected.
don’t be scared.


Infos zum Buch

Titel: Notes From a Public Typewriter
Autor:  Michael Gustafson
Design: Oliver Uberti
Verlag: Grand Central Publishing
Erstveröffentlichung: März 2018
ISBN: 1538729113
Seiten: 160
Deutscher Titel: Bisher nicht erschienen

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