Holmes als Hexenmeister: Warlock Holmes – A Study in Brimstone

Falls euch in den letzten Tagen in der Berliner U-Bahn mal jemand begegnet ist, der die morgendliche, vergrummelte Stille durch plötzliches Losprusten, belustigtes Schnauben und vergeblich unterdrücktes Kichern gestört hat: Das war vermutlich ich. Ich möchte mich in aller Form für diese Art der Lärmbelästigung entschuldigen. Aber wisst ihr, ich kann eigentlich gar nichts dafür. Allein G.S. Dennings „Warlock Holmes – A Study in Brimstone“ war schuld daran. Denn wenn Holmes ein trotteliger Hexenmeister ist, der die Mächte der Unterwelt nur schwerlich unter Kontrolle hat, Lestrade und Gregson sich als Vampir und Oger entpuppen und Watson auf einmal logisch denken kann und die Verbrechen aufklärt, ist ein bisschen Gekicher nämlich leider unvermeidbar.

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Wie ihr vielleicht wisst, begeistere ich mich ein wenig für Sherlock Holmes und alles was mit ihm zu tun hat. Deshalb kann ich leider an keinem Buch vorbeigehen, auf dem der Name Holmes prangt, ohne mir zumindest den Klappentext durchzulesen. Man könnte meinen, es würde einem irgendwann der Lesestoff zu diesem Thema ausgehen, da Holmes‘ geistiger Vater, Sir Arthur Conan Doyle, ja schon seit über 80 Jahren tot ist. Aber dem ist nicht so. Bei Weitem nicht! Denn die Anzahl an Holmes Pastiches und Parodien ist gigantisch. So gigantisch, dass mich die Auswahl meist ein wenig überfordert. Da kommt es mir sehr gelegen, wenn sich ein Buch mal etwas deutlicher von der Masse der neuen Fälle für den alten Meisterdetektiv abhebt – so wie Warlock Holmes – A Study in Brimstone.
Das Buch ist der Auftakt zu einer, momentan noch, dreiteiligen Fantasy-Reihe, in deren Mittelpunkt der inkompetente „Detektiv“ Warlock Holmes und sein treuer Freund John Heimdal Watson stehen. Und was für ein Auftakt das ist! Schon im ersten Absatz prophezeit uns Watson den Untergang der Welt, wie wir sie kennen – und muss sich dafür leider selbst die Schuld geben. Upps!

The dominion of man is drawing to a close. The age of demons is upon us. This, I recognize, is largely my fault and let me take just a moment to apologize for my part in it. I am very sorry I doomed the world.

Nach diesem recht verheißungsvollen Einklang erklärt uns Watson in diesem Buch nun, wie es dazu kommen konnte. In mehreren mehr oder minder kurzen Geschichten lernen wir, wie es sich begab, dass Watson mit dem exzentrischen Warlock Holmes zusammenlebt, warum Scotland Yard Vampire und Oger beschäftigt und wieso die Welt immer ein Stückchen weiter aus den Fugen gerät, wenn Warlock Holmes versucht, sie mit Hilfe von Dämonen und anderen übernatürlichen Mächten zu retten. Die Geschichten orientieren sich an den Ereignissen aus den Originalen von Arthur Conan Doyle. Nur tragen sie hier eben Namen wie: A Study in Brimstone (statt A Study in Scarlet) oder The Adventure of the Yellow Bastard (statt The Adventure of the Yellow Face) und haben freilich ein etwas anderes Setting. Vampire, Oger, Dämonen und Geister sind schließlich Dinge, die man in Doyles Werken nur schwerlich finden wird oder die der Detektiv darin schnell als Humbug abtut. Dabei wird Holmes von den Figuren, die ihm in Doyles Geschichten begegnen, ja häufiger mal vorgeworfen, selbst ein Zauberer zu sein. So beeindruckend sind die Deduktionen des Meisterdetektivs, dass man nur schwerlich glauben kann, dass sie auf reiner Beobachtungsgabe fußen. In A Study in Brimstone wird nun allerdings überhaupt niemand mehr glauben können, dass hier keine übernatürlichen Kräfte am Werk sind – auch wenn Watson anfangs sein Möglichstes tut, die Zeichen zu ignorieren. Nicht nur weil der Name Warlock allein schon ein recht eindeutiger Hinweis darauf ist, dass dieser Holmes hier ein Hexenmeister ist, sondern weil in der Baker Street 221b von Zeit zu Zeit die Wände bluten, der Detektiv Visionen hat und seine Augen grün glühen, wenn er wütend wird…

A Study in Brimstone ist eine Mischung aus Parodie und Hommage – und ich war mir nie sicher, was von beidem jetzt die Oberhand hat. Eins sei also gesagt: Wer die Geschichten Doyles als seine Bibel ansieht und keine Witze über ihre Schwächen verträgt, dürfte hier vermutlich an der falschen Adresse sein. Wer sich aber auf die Sache einlässt (und das fällt hier leicht), wird sich bei Denning gut aufgehoben fühlen. Es ist keine Verachtung, die da aus ihm spricht, sondern eher ein liebevolles Triezen nach ein paar Gläsern Wein. Vermutlich erinnert sich beispielsweise jeder, der mal A Study in Scarlet gelesen hat, daran, dass die Erzählperspektive plötzlich wechselt, man sich nicht mehr in London sondern in der amerikanischen Wüste befindet und sich fragt, ob beim Buchbinden etwas schiefgegangen ist und ein paar Seiten aus einem anderen Buch zwischen die Holmes-Geschichte geraten sind. Genau diese Dinge nimmt Denning gern aufs Korn.

PART II
Not from the Journal of Dr. John Watson, but from some nebulous, undefined source that is suddenly third person and almost makes you think you’ve picked up the wrong book.

Es sind eine ganze Menge dieser „Insider“ in diesem Buch zu finden, weshalb sich auch der verbohrteste Sherlockianer sicherlich doch irgendwann zu einem verstohlenen Hihi hinreißen lassen muss – so mutmaße ich zumindest. Das ist dann vermutlich so wie in diesen Situationen, in denen man eigentlich böse auf jemanden ist, aber derjenige dann so viele blöde Witze erzählt, dass man doch irgendwann Kichern muss.
Überhaupt ist es vor allem der Humor, der Witz, die Situationskomik, das Skurrile, was hier den Charme des Buches ausmacht. Egal ob es nun die, auf vielfältigste Weise deformierten, Ratten sind, die hier als ‚Baker Street Irregulars‘ auftreten und die Holmes mit verrottetem Gemüse bezahlt oder der Vampir Inspektor Lestrade, der verstohlen seinen Zeigefinger in die Blutlache am Ort des Verbrechens steckt und ihn dann ablutscht – hier gibt es was zu lachen. Manchmal, das gebe ich zu, artet das Ganze auch etwas ins Alberne und in Slap-Stick aus – es ist streckenweise ein wenig „Die Nackte Kanone“ Humor. Aber das ist erstens auch nichts Schlechtes – jeder amüsiert sich schließlich auf seine Weise – und zweitens eben auch nur temporär. Hier ist für jede Art Humor etwas dabei.

„Tell him nothing, Watson!“ Warlock urged, struggling to reclaim his balance. “And for God’s sake, John, don’t let him learn your name!”

Wenn einem das aber alles doch zu albern und zu hanebüchen ist, kann man auch einfach die Dämonen, alles Übernatürliche und die Gags abziehen und findet in der Essenz das, was auch bei den Original-Geschichten einen großen Teil des Zaubers ausmacht: Eine Geschichte über die Freundschaft zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwar ist die Beziehung zwischen Watson und Holmes hier spiegelverkehrt – nicht zuletzt, weil Holmes hier der Einfältige aber Tatkräftige ist und Watson derjenige, der logisches Denken an den Tag legt – aber trotzdem bekommt man hier ein heimeliges Gefühl und möchte sich fasst zu einem verträumten „Awww!“ hinreißen lassen.

Was ich allerdings nicht eindeutig beurteilen kann, ist, ob Warlock Holmes auch etwas für Leser ist, die die Originale von Doyle nicht kennen. Ich habe sie „leider“ schon so oft gelesen und als Hörbuch gehört, dass ich mich nicht mehr an eine Zeit vor Holmes zurückbesinnen kann. Vermutlich sind die Geschichten aus A Study in Brimstone dann einfach spannende, witzige Abenteuer von einem Zauberer und seinem Kumpel. Aber das ist, wie gesagt, nur eine Vermutung.

Eins weiß ich allerdings sicher: Die nächsten beiden Warlock Holmes Bände, The Hell-Hound of the Baskervilles und My Grave Ritual, werden schnellstmöglich bei mir einziehen – und das nicht nur weil A Study in Brimstone mit einem ziemlich fiesen Cliffhanger endet. Warlock Holmes ist einfach herrlich schrullig, witzig und fast schon unverschämt… unterhaltsam!


Infos zum Buch:
Titel: Warlock Holmes – A Study in Brimstone
Autor: G.S. Denning
Verlag: Titan Books
Erstveröffentlichung: 2016
ISBN: 978-1783299713
Seiten: 336
Deutscher Titel: Bisher nicht erschienen

There are 5 comments

  1. ninakol.

    Oh was bin ich jetzt neugierig und werde wohl tatsächlich mal meinen inneren Schweinehund überwinden und Mal wieder etwas auf Englisch lesen. Ja, selbiges ist etwas eingerostet und daher lesen im Original manchmal Abends müde im Bett zu mühsam. Aber hier sprudelt es ja über vor Komik und ich kann auch manchmal durchaus den Holzhammer Witz gebrauchen… Danke und liebe Grüße
    Nina

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    1. Karo

      Moin, Nina 🙂 Ja, es ist wirklich schade, dass es hier noch keine Übersetzung gibt. Aber ich glaube, der deutsche Markt ist einfach ein bisschen zu klein für Holmes Pastiches und Parodien. Es gibt da ja super viele, die nie übersetzt werden. Viel Spaß jedenfalls mit Warlock – du wirst dich bestimmt gut amüsieren 🙂

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    1. Karo

      Stets zu Diensten, stets zu Diensten. Den Pastiche Begriff kenne ich auch erst seit ich mich nach neuen Holmes-Abenteuern umgeschaut hab – da kommt man früher oder später dann nicht dran vorbei.
      Ich hoffe, du hast mit Warlock genauso viel Spaß wie ich 🙂

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