Cabin Pressure: Wieso Zitronen und Idioten gut gegen Flugangst sind

Ich habe Angst vorm Fliegen. Nicht so sehr, dass ich niemals ein Flugzeug besteigen würde – man kommt schließlich manchmal nicht drum herum. Aber wenn ich die Wahl habe, nehme ich lieber den Zug. Oder das Auto. Oder Inline-Skates. Oder gehe zu Fuß. In meinen 30 Jahren auf diesem Planeten bin ich ganze vier Mal geflogen – und ich habe auf all diesen Flügen vor Angst geheult. Jaja, ich weiß, das Flugzeug ist statistisch betrachtet das sicherste Verkehrsmittel. Aber rationale Argumente können hier nichts ausrichten. Die Angst ist irrational – ich weiß es, ihr wisst es, ja sogar die Angst weiß es. Aber sie ist eben da – und nervt. Meine Abneigung gegen das Fliegen sorgt nicht nur dafür, dass ich grundsätzlich lieber Reiseziele anpeile, die man mit dem Zug erreichen kann, sondern hat mich auch lange Zeit davon abgehalten, mir die Radio-Comedy Cabin Pressure anzuhören – und das obwohl der Mann mit der schönsten Stimme Großbritanniens, Benedict Cumberbatch, mitspielt. Was könnte ich einer Show über zwei Piloten, einen Steward und deren Chefin schließlich schon abgewinnen – abgesehen von Schweißausbrüchen und zittrigen Händen?

Nun, wie sich herausstellt, eine ganze Menge! Die positiven Nebenwirkungen von Cabin Pressure umfassen, aber sind nicht beschränkt auf: Lachanfälle; den „Ach, eine Folge hör ich noch…und vielleicht noch eine und huch, wieso ist es plötzlich 3 Uhr morgens?“-Effekt; das wunderbare warme Gefühl, das man bekommt, wenn man eine Geschichte und ihre Charaktere so richtig, richtig mag und – überraschenderweise – ein entspannteres Gefühl, wenn ich ans Fliegen denke. Wenn diese vier Idioten es schaffen, das Flugzeug sicher zurück auf den Boden zu bringen, dann überlebe ich den nächsten Flug nämlich bestimmt auch! Dementsprechend muss ich sagen: Mir Cabin Pressure anzuhören, war vermutlich eine der besten Entscheidungen, die ich seit Langem getroffen habe.

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Nun sagte ich ja, dass ich eine Weile mit mir gehadert habe. Und wenn ich sage „eine Weile“, dann meine ich das auch so. Cabin Pressure hat nämlich schon ein paar Jährchen auf dem Buckel und ist nicht die neueste Entdeckung in der Hörlandschaft. Das Comedy Programm wurde von 2008 bis 2014 in 4 Staffeln produziert. Trendsetting kann ich mir also nicht gerade auf die Fahne schreiben. Aber hey, es ist nie zu spät gute Geschichten zu entdecken, nicht wahr? Cabin Pressure bietet sogar gleich 26 davon – so viele wie es Buchstaben im Alphabet gibt. Es geht einmal rund um die Welt – angefangen bei Abu Dhabi und endend in Zürich.

Die Hörspiel Comedy stammt aus der Feder von John Finnemore und wir begleiten darin die Mitarbeiter von MJN Air, einer kleinen Charter-Airline, bei ihrem Arbeitsalltag. Wobei „Airline“ vielleicht das falsche Wort ist. Denn die Flotte von MJN Air besteht aus einem einzigen, und schon ziemlich in die Jahre gekommenen, Flugzeug mit der Flugzeugkennung G-ERTI. Daher ist auch die Crew überschaubar und besteht nur aus 4 Mitgliedern: Geschäftsführerin (und manchmal Stewardess) Carolyn Knapp-Shappey (Stephanie Cole), Steward Arthur Shappey (John Finnemore), Captain Martin Chrieff (Benedict Cumberbatch) und First Officer Douglas Richardson (Roger Allam).

GERTI

Der junge Captain Martin Crieff, auch Skipper oder Skip genannt, ist sehr stolz auf seinen Rang und versäumt es nicht, jeden immer und überall daran zu erinnern, dass er der „Supreme Commander“ des Flugzeuges ist. Airline-Captain zu sein, war schon immer sein großer Traum. Das Problem ist allerdings, dass er im Grunde kein besonders guter Pilot ist. Ups! Der weitaus erfahrerene Co-Pilot, Douglas Richardson, ist eindeutig der bessere Flieger und gibt eine weitaus imposantere Figur ab als Martin. Deshalb halten ihn auch die meisten Menschen für den Captain. Dennoch liegen seine besten Zeiten hinter ihm – er war einst Captain bei Air England, wurde aber dort gefeuert, weil er beim Schmuggeln erwischt wurde. Nicht, dass dieser Misserfolg in irgendeiner Weise an seinem Selbstvertrauen rütteln würde…
Die Beziehung zwischen Martin, dem ranghöheren, und Douglas, dem besseren Piloten, sorgt nicht nur für Lacher, sondern auch für eine spannende Figurendynamik. Martin ist noch jung und unerfahren (wieso er trotzdem der Captain ist, wird sich im Laufe der Sendung herausstellen). Daher ist er, wenn auch widerwillig, auf Douglas‘ Erfahrung und Rat angewiesen – eine Tatsache, um die Douglas ganz genau weiß. Sein Selbstbewusstsein und seine Arroganz sind dabei aber oft durchaus berechtigt, denn am Ende ist er es meist, der den Karren aus dem Dreck zieht.

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Die resolute Managerin Carolyn ist immer darum bemüht, ihr kleines Unternehmen vor dem Ruin zu bewahren und spart daher oft an den Unterkünften oder der Verköstigung ihrer Mitarbeiter. Glamouröses Piloten-Leben? Fehlanzeige bei MJN Air! Äußern die Piloten Wünsche, werden die gerne mal mit Sprüchen wie „Martin, only Father Christmas cares about what you want!“ abgebügelt. Was Carolyn sagt, gilt! Sie ist vom selben Schlag wie Douglas – schlau, sarkastisch, wortgewandt – und bietet daher eine schöne Ergänzung oder eben einen schönen Gegenpol zu seinem überlegenen Gehabe. Carolyn und Douglas sind würdige Gegner, wenn sie auf verschiedenen Seiten von Argumenten oder kleinen Wettkämpfen stehen, und ein wortgewaltiges Duo, das jeden Gegner in den Boden diskutiert, wenn sie sich zusammenrotten.
Im krassen Gegensatz dazu steht Carolyns Sohn, Arthur. Er ist wirklich nicht die hellste Leuchte, aber macht das mit Hilfsbereitschaft und unerschütterlichem Enthusiasmus wieder wett. Arthur findet alles und jeden:

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Dass Autor und Darsteller John Finnemore, sich selbst die Rolle des Trottels zugedacht hat, ist ein sehr sympathischer Schachzug. Denn er selbst ist sicherlich keiner. Das beweisen nicht nur die smarten Dialoge und die gezielt abgefeuerten Wortwitze in Cabin Pressure, sondern auch die, für ein Comedy Programm beeindruckend vielschichtigen Charaktere. Man schließt sie, mitsamt ihrer Stärken und Schwächen, ganz schnell ins Herz, obwohl sie doch eigentlich nur da sind, um ein paar Witze zu erzählen. Dazu trägt zweifellos bei, dass alle Figuren ein paar (teils recht peinliche) Geheimnisse haben, die im Laufe der vier Staffeln zu Tage gefördert werden – abgesehen von Arthur, der ist einfach nicht im Stande zu lügen. Diese Geheimnisse lassen die Figuren menschlicher, abgerundeter erscheinen und machen Sie allesamt zu liebenswerten Losern. Außerdem machen alle Charaktere im Laufe der Serie eine Entwicklung durch, entwickeln z. B Selbstvertrauen oder lassen Gefühle zu. Auch das ist etwas, das für ein Comedy Programm nicht als gegeben hingenommen werden kann. Für den zusätzlichen „Awww-Faktor“ sorgt außerdem auch, dass diese vier unterschiedlichen Charaktere im Endeffekt ein fantastisches Team sind. Und wer hört nicht gerne Geschichten über Freunde, die füreinander einstehen? Alle vier haben, tief drinnen, ein gutes Herz – auch wenn es manchmal unter viel Sarkasmus begraben ist. Ja, sie zanken und ärgern sich und witzeln übereinander, doch je weiter wir im Alphabet voranschreiten, desto mehr wachsen unsere Helden weiter zusammen. Es erwärmt einfach das Herz, wenn die vier zusammenstehen – sei es nun, weil Carolyns Exmann versucht, GERTI zu stehlen, oder weil Martins Familie von seiner Kompetenz als Pilot überzeugt werden muss.

Aber natürlich kommt bei all dem „Awww“ der Humor trotzdem nicht zu kurz. Es gibt einiges zu lachen – und zwar von Anfang an. Wie bei jedem Comedy Programm hängt die Frage, ob man die Show mag oder nicht, natürlich davon ab, ob sie die eigene Art des Humors trifft. Ich für meinen Teil muss sagen: Bei mir traf sie absolut ins Schwarze! Schon nach wenigen Minuten fing ich in der Bahn an zu kichern und zu schnauben und erntete die ersten misstrauischen Blicke meiner Mitreisenden. Ein Vorgang, der sich in den kommenden Tagen häufiger wiederholen sollte. Ich erinnere mich außerdem recht gut an einen Vorfall im Supermarkt. Ich stand, beim Einkauf nebenbei Cabin Pressure hörend, vor dem Käseregal und konnte mich plötzlich vor Lachen nicht mehr einkriegen. Beeindruckend, wie schnell man ganz viel Platz im Supermarkt hat, wenn Leute dich für eine Verrückte halten, die den Käse auslacht.

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Ja, unser illustres Quartett erlebt allerhand witzige und manchmal auch etwas absurde Abenteuer. Aber Cabin Pressure ist eigentlich in den Momenten am stärksten, in denen das Pilotenleben sich von seiner alltäglichen Seite zeigt. Das Airline-Leben ist nämlich offenbar nicht so spannend, wie man denkt. Daher vertreibt sich die Crew die Zeit oft mit diversen Spielchen: Auf Cargo-Flügen denken Sie sich zum Beispiel möglichst absurde Ansagen aus, auch wenn nur Arthur da ist, um sie zu hören. Aber auch wenn tatsächlich Passagiere an Bord sind, wird keine Gelegenheit ausgelassen, sich die Zeit mit einem Spielchen zu vertreiben. Da wäre zum Beispiel “Passenger Derby“: Das Anschnallzeichen länger als nötig eingeschaltet lassen und dann darauf wetten, welcher der Passagiere nach dem Abschalten als erster das Klo erreichen wird; „Name Dropping“: z.B. versuchen, möglichst viele Hitchcock Filmtitel in der Begrüßungsansprache unterzubringen; oder aber „The Travelling Lemon“: An einer deutlich sichtbaren Stelle im Flugzeug eine Zitrone deponieren, die der Gegenspieler finden und dann erneut verstecken muss. Das Zitat „The Lemon is in play“ – ist unter Fans der Serie absoluter Kult.

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Apropos Fans (und apropos Zitronen). Das Fandom von Cabin Pressure heißt The Fandot und es sind ganz, ganz wunderbare Menschen. Die Fandots sind ungemein kreativ und zaubern nicht nur total süße Fanart (ich hab HIER mal ein kleines Pinterest Board zusammengestellt), sondern zeigen auch echtes Commitment. So riefen sie zum Beispiel das „Lemons and Landmarks Project“ ins Leben. Um sich für all die schönen Stunden zu bedanken, die Cabin Pressure ihnen beschert hat, sammelten sie kleine Botschaften und vor allem Fotos von „Travelling Lemons“ auf der ganzen Welt. Zitronen vor dem Eifelturm, vor dem Brandenburger Tor, auf dem Kilimandscharo und und und. Heraus kam dabei ein Buch, das John Finnemore vor der Aufzeichnung der letzten Folge feierlich überreicht wurde. Aber nicht nur das: Gegen eine kleine Spende konnten Fans das Endergebnis als CD und PDF erwerben. So sammelten Initiatorin Kayleigh Fitzgerald und ihr Team ganze 15.000 Pfund, die im Namen von John Finnemore an Ärzte ohne Grenzen gespendet wurden. Beeindruckend und wunderschön!

Obwohl die Sendung in Großbritannien bereits von Anfang an ein Erfolg war, wurde sie, nachdem Benedict Cumberbatch mit Sherlock Weltruhm erlangte, zum echten Publikumsliebling. Menschen standen Schlange, um bei den Aufnahmen dabei zu sein. Besonders schön ist allerdings, dass Cumberbatchs Rolle, Martin, trotzdem nicht unnötig aufgeblasen wird. Stattdessen gibt es aber eine einzelne fantastische Episode (Paris) in der Martin versucht, den mysteriösen Fall des gestohlenen Whiskeys aufzuklären – inklusive sehr verdrehter Sherlock Holmes Zitate und Referenzen. Mein Sherlockianerherz war entzückt!

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Trotz solcher kleinen Spotlights für Cumberbatch bleibt Cabin Pressure aber immer eine Ensemble Show, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass es eben nicht einen, sondern vier Stars gibt. Die vier Hauptrollen hätten nicht perfekter besetzt werden können – alle Stimmen passen zu den Charakteren wie die Faust aufs Auge und die Darsteller agieren brillant miteinander. Man hat jederzeit das Gefühl, sie würden für ihr kleines Hörspiel-Programm alles geben und sich dabei auch noch köstlich amüsieren. Das bleibt auch so, als in Staffel 4 der Cast noch erweitert wird und Love-Interests auf den Plan treten. Die Show büßt dadurch allerdings weder Witz, Spannung und Scharfsinn ein, noch verliert sie sich in Kitsch. Ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass einer der Partner Hercules heißt und auch so klingt (er wird von Anthony Head gesprochen) und Theresa, die Prinzessin von Liechtenstein (Matilda Ziegler) einen der Jungs vor einem Drachen retten muss…

Obwohl Cabin Pressure ein Comedy-Programm ist und mir viele Lacher beschert hat, habe ich zum Schluss doch feuchte Äuglein bekommen. Nicht, weil das Ende furchtbar war (das Gegenteil ist der Fall: es ist ein perfektes Ende!), sondern weil mir Carolyn, Martin, Douglas und Arthur so ans Herz gewachsen sind. Der Abschied von der sympathischen Loser-Crew fiel schwer. So schwer, dass ich – nachdem ich bei Z angekommen war, das Alphabet nochmal von vorn begann. Ich kann daher jedem, der britischen Humor mag und eine Schwäche für liebenswerte Trottel hat, nur empfehlen, mal mit MJN Air zu fliegen – aber achtet auf herrenlose Zitronen!

LEMONISINPLAY

There are 10 comments

  1. ninakol.

    Hi. Ich kann mich nur anschließen, trendsetting, pfff Gutes hat Bestand und GsD habe ich dadurch jetzt auch noch etwas entdeckt, was mich definitiv interessiert! Englischer Humor? Check. Hörbuch? Check. B. Cumberbatch? Check. Werde ich mir ganz sicher holen. (Kennst Du übrigens die Serie Black Book? Weil wir gerade bei britischem Humor sind)
    Liebe Grüsse
    Nina

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    1. Karo

      Genau, Trendsetting wird überbewertet 😀
      Black Book kannte ich noch nicht. Aber Google sagt, es geht um einen Buchladen – das klingt schonmal vielversprechend! Danke für den Tip 🙂

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  2. Tina

    Wow, das klingt echt gut! Aktuell habe ich einfach zu wenig Fahrtzeit, als dass ich Podcasts hören würde, aber in 2 Wochen zum neuen Job sieht das ganz anders aus… +500%! Da bietet sich ein guter Podcast dich an 😏 auf Spotify habe ich ihn allerdings nicht finden können?

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    1. Karo

      Oh, herzlich Glückwunsch zum neuen Job erstmal! 🙂 Ich hab Cabin Pressure bei Audible gehört. Im Google Playstore gibt es das auch, bestimmt auch bei iTunes. Aber kostenlos meines Wissens nach nirgendwo.

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    1. Karo

      Haahaa, ich kann mittlerweile auch alles mitsprechen und es ist trotzdem immernoch super! Grad hab ich wieder Ottery St. Mary gehört – mein absoluter Favorit. Yellow Car.

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