Zeitreisen, Bibliotheken, seltsame Gestalten – ich weiß nicht genau, welches der drei Elemente mich mehr aufhorchen ließ, als mich Autor Sven Urban anschrieb und fragte, ob ich nicht mal einen Blick auf seinen Debütroman „Die Sprache der Zeit“ werfen wollte. Lange überlegen musste ich da nicht und die Leseprobe tat ihr Übriges um mich neugierig zu machen: Natürlich wollte ich. Das klang nämlich nach einem Fantasy Abenteuer ganz nach meinem Geschmack. Daher an dieser Stelle (und auch aus rechtlichen Gründen): Vielen Dank für das Rezensionsexemplar.
Ob mich dieses Debüt auf der Fantasy-Bühne überzeugen konnte? Schauen wir doch mal.
Money, money, money – das ist alles, worum sich das Leben des erfolgreichen Anwalts Oskar dreht. Nichts geht über die Karriere – nicht seine Frau, nicht seine Tochter, nicht das Familienglück. Die Ehe ist zerbrochen, Oskar aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen und, wenn wir mal ehrlich sind, sogar recht froh darüber. Denn so kann er sich wenigstens voll und ganz der Arbeit widmen. Doch just am Tag nach der Unterzeichnung der Scheidungspapiere, geschehen merkwürdige Dinge. Sehr merkwürdige sogar…
Alles fängt mit einem eigenartigen Flohmarkt vor seiner Anwaltskanzlei an, wo Oskar auf einen seltsamen Mann namens Hermes trifft, der ihm ein zerschlissenes Büchlein in die Hand drückt. Dieses Buch wird Oskars Leben verändern – und das nicht im übertragenden Sinne. Denn es entführt ihn in eine magische Bibliothek, in der Kobolde nicht nur daran arbeiten, Bibliotheksschädlinge zu bekämpfen, sondern auch daran, die Zeit und all ihre Geschichten auf Papier zu bringen. Unzählige Bücher stapeln sich hier – Bücher mit allen Ereignissen und menschlichen Schicksalen, die jemals auf der Welt geschehen sind. Doch damit nicht genug: schlägt man eines dieser Bücher auf, wird man direkt in die Vergangenheit, die auf diesen Seiten festgehalten ist, katapultiert. Zusammen mit dem exzentrischen Hermes erlebt Oskar so entscheidende Ereignisse aus seinem Leben erneut und trifft hier auf geheimnisvolle Kräfte, die unsere Schicksale lenken…
Über Zeitreisen via Buch hat vermutlich jeder Bücherwurm schon einmal nachgedacht. In gewisser Weise machen Bücher so etwas ja auch tatsächlich möglich. Denn durch sie haben wir die Möglichkeit, andere Epochen, Städte, Schicksale zu erkunden. Völlig gefahrlos, während wir gemütlich im Lesesessel sitzen, versteht sich. Für Oskar verhält sich das in Die Sprache der Zeit freilich ein wenig anders. Denn er kann erstens seine eigene Vergangenheit erkunden – was einem normalen Leser ja in den allermeisten Fällen verwehrt bleibt – und zweitens kann man hier nun wirklich nicht von Gefahrlosigkeit sprechen. Denn durch seine Besuche der Vergangenheit macht Oskar einige dunkle Kräfte auf sich aufmerksam, die die Verfolgung aufnehmen. Aber was wären Zeitreise-Stories auch ohne Hindernisse und Gefahren für die Protagonisten? Richtig, irgendwie öde. Alles richtig gemacht also.
Die große, fantastische Bibliothek in diesem Buch sollte außerdem das Herz eines jeden Bücherliebhabers höherschlagen lassen. Was gäbe man nicht dafür, dieses Reich betreten und seine Geheimnisse erkunden zu können – hinter jeder Ecke wartet hier etwas Überraschendes, Spektakuläres, Magisches.
Sven Urbans Debütroman lebt von vielen, liebevoll ausgearbeiteten Details, schrägen Figuren und wilden Ideen. Der Sprung zwischen Fantasy Elementen – wie Kobolden und Zeitreisen – und Oskars modernem Leben mit teuren Autos, Computern und schicken Anzügen gelingt hier mühelos. Ich fühlte mich an Neil Gaiman und seine fantastischen Urban Fantasy Abenteuer erinnert. Gleichzeitig erweckte das Buch mit dem kaltherzigen, griesgrämigen Protagonisten Erinnerungen an Ebenezer Scrooge und seine Reise in die Vergangenheit aus Charles Dickens Klassiker (und einem meiner All-Time-Favourites) „A Christmas Carol“. Dementsprechend war auch die Entwicklung, die Oskars Charakter hier durchmacht, nicht sonderlich überraschend, aber eben auch nicht enttäuschend, weil es genau das war, was man von einer solchen Geschichte erwarten würde. Es ist ein modernes Märchen, das uns Sven Urban hier erzählt.
Doch so sehr die Ideen aus Die Sprache der Zeit auch gefielen, konnte ich mich trotzdem nicht wirklich in das Buch fallen lassen. Das lag vor allem daran, dass ich mit dem Schreibstil nicht warm geworden bin. Ich hatte hin und wieder den Eindruck, dass einige Formulierungen und Worte besser in einen Aufsatz als in einen Fantasy-Roman passen würden. Wörter wie „zudem“, „unmittelbar“, „jene“ und „ebenso“ sind hier in großer Zahl zu finden. Und natürlich sind das einwandfreie Wörter, aber es sind eben Wörter, die für gewöhnlich eher in Berichten oder Aufsätzen (oder Buchrezensionen *hust*) zum Einsatz kommen, anstatt in einem „echten“ Dialog oder in einem modernen Roman. Was ich also damit sagen möchte, ist folgendes: Mir wirkte die Sprache nicht natürlich genug – für ein solch irrwitziges Abenteuer hätte ich mir einfach etwas mehr sprachliche Ungezwungenheit gewünscht.
Hinzu kommt ein beinahe inflationärer Einsatz von Ausrufezeichen. Das mag jetzt pingelig klingen und ist vielleicht nur ein ganz persönliches Problem, aber ich finde, Ausrufezeichen sollten in jedweder Art der Kommunikation sparsam eingesetzt werden – weil ich nämlich anderenfalls immer den Eindruck habe, mich würde jemand anschreien!!!!11einself
Aber in diesem Zusammenhang sollte man vermutlich auch nicht unerwähnt lassen, dass es sich bei Die Sprache der Zeit um einen Selfpublishing Roman handelt. Hinter Autor Sven Urban steht kein großer Verlag und dementsprechend auch kein Verlagslektorat, das Nörglern wie mir vermutlich den Wind aus den Segeln nehmen würde. Und natürlich gibt es auch keine große Marketingmaschinerie, weshalb ich den größten Respekt davor habe, wenn sich ein Autor dazu entscheidet, sein Buch in dieser Form auf den Weg zu bringen.
Zwar denke ich, dass Sven Urbans Erstlingswerk sprachlich nicht sein volles Potential ausschöpft, aber Konzept und Ideen sind durchaus überzeugend. Daher lohnt sich für Fans von Contemporary Fantasy ein Blick auf Die Sprache der Zeit sicherlich. Außerdem sollten sich eigentlich alle Bücherwürmer in der riesigen Bibliothek pudelwohl fühlen. Schaut vorbei – aber nehmt euch vor den Kobolden in Acht.
Infos zum Buch
Titel: Die Sprache der Zeit
Autor: Sven Urban
Verlag: Books on Demand
Erstveröffentlichtung: August 2018
Seiten: 340
ISBN: 978-3752841299
Klingt nett und mit 0,99€ als E-Book auch gut bepreist für ein Debüt, glatt mal besorgt.
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Ich finde es immer total mutig, wenn jemand den Sprung wagt, ist mal vorgemerkt
Liebe Grüsse
Nina
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Eine sehr schöne Rezension, und deine Kritikpunkte kann ich voll!!1! und ganz !!!!11 nachvollziehen, zu pingelig finde ich sie übrigens nicht. Der Stil ist ja fast genauso wichtig fürs Lesevergnügen wie die Story selbst. Vielleicht schleift der Autor auch noch mal ein wenig nach, aber mit Sicherheit hat er etwas für den 2. Roman mitnehmen können.
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Danke Dir 🙂 Ich finde auch, dass man den Stil nicht vernachlässigen sollte. Einige Autoren lese ich beispielsweise vorrangig, weil ich ihren Schreibstil so mag – Edward St Aubyn zum Beispiel!!!1
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