Die große Welt der Sherlock Holmes Pastiches: Weit mehr als billige Kopien

Aloha, Freunde des gepflegten Detektivromans! Bei den #bakerstreetblogs geht es heute um die große weite Welt der Holmes Pastiches. Bei Sabine wird es dabei einen literaturwissenschaftlichen Fokus geben – das solltet ihr nicht verpassen! Bei mir gibt es eher einen allgemeineren Überblick zum Thema. Ich befasse mich mit den Fragen, was ein Pastiche überhaupt ist, warum es so viele davon gibt, was man von ihnen erwarten  und welche ich empfehlen kann. Auf geht’s!

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Der Moment

Ihr kennt sicherlich dieses wunderbare Gefühl, auf eine Geschichte zu treffen, die es einem so richtig angetan hat. Bei der man sich schon auf der Arbeit darauf freut, am Abend endlich weiterlesen zu können, die einem Glückseligkeit beschert, wenn man 1-2 Stunden ungestört mit ihr im Lesesessel verbringen kann und die eine derartige Begeisterung auslöst, dass man sie am liebsten in die Welt hinausschreien möchte. So ging es mir, als ich mich erstmals durch die Sherlock Holmes Geschichten las. Zwar hatte ich noch ein paar vor mir, aber eines Abends, als ich mich glücklich durch die Seiten schlängelte, überkam mich plötzlich der Gedanke: Das wird irgendwann enden. Was wirst du tun, wenn du alle Geschichten gelesen hast?

Nun, als ich die letzten Zeilen von The Adventure of Shoscombe Old Place, der letzten Sherlock Holmes Geschichte, gelesen hatte, überkam mich erst einmal diese kurze Schockstarre. Bücherwürmer kennen diesen Moment gut, in dem eine gute Geschichte einfach zu Ende ist, man die letzte Seite zu schlägt und sich fragt: Was soll ich denn jetzt mit meinem Leben anfangen? Bis man dann zu dem Schluss kommt, dass das Lese-Leben weitergeht und es noch viele andere gute Geschichten in der Welt gibt, die es zu entdecken gilt. Und wenn alles nichts hilft, kann man ja auch einfach nochmal von vorne anfangen und eine neue Leserunde starten. Beides tat ich. Aber von Zeit zu Zeit nagte der Gedanke im Hinterkopf: Ich würde so gerne mal wieder eine neue Holmes Geschichte lesen. Aber wo sollte die herkommen? Doyle war schließlich tot – wer sollte eine solche Geschichte also schreiben?

Dieser Gedanke kommt mir aus heutiger Sicht ziemlich naiv vor. Denn wie ich irgendwann dann endlich begriff, hatten sich bereits eine ganze Menge Menschen dieser Aufgabe angenommen. Unzählige Autoren haben sich bereits an Holmes-Geschichten versucht und dem Detektiv neue Abenteuer geschrieben. Darunter sogar sehr namhafte Autoren wie Stephen King (The Doctor’s Case) und Neil Gaiman (A Study in Emerald). Heureka! Ich hatte die Sherlock Holmes Pastiches entdeckt – und das ist für Holmes-Fans eine echte Goldgrube!

Was ist eigentlich ein Pastiche?

Falls euch der Begriff nichts sagt: Ein Pastiche ist – um es ganz einfach auszudrücken – eine Nachahmung und bedient sich des Stils, des Settings und der Charaktere eines anderen Autors. Pastiches sind jedoch keine Fälschungen oder billige Kopien, die ihre Herkunft verschleiern, sondern machen deutlich, dass es sich um eine Imitation handelt. Sie können Ausdruck von Hochachtung oder Satire sein.
Das Wort Pastiche kommt vom italienischen pasticcio und bedeutet so viel wie Pastete. Das klingt jetzt natürlich merkwürdig, aber macht insofern Sinn, da bei einem Pastiche die Zutaten eines Werkes genommen werden und daraus etwas Neues geformt wird: Ganz ähnlich wie bei einer Pastete, die mit verschiedensten Zutaten gefüllt wird und ein neues Mäntelchen erhält.

Holmes-Pastiches entstanden schon zu Lebzeiten Doyles und heute ist die Liste unendlich lang. Zu lang, um sich in nur einer Lebenszeit hindurchzulesen. Ich bin immer wieder davon beeindruckt, wie groß der Fundus an Pastiches tatsächlich ist. Denn betrachtet man die Zielgruppe für solche Geschichten – nämlich richtige Sherlock Holmes Nerds – ist sie nicht besonders groß. „Never has so much been written by so many for so few“ – sagte Baker Street Irregulars Gründer Christopher Morley einst (angelehnt and Churchhills berühmtes Zitat: Never was so much owed by so many to so few.) und hat damit vollkommen recht.

Wozu das Ganze? Oder: Warum Sherlock Holmes Pastiches so begeistern

Warum es so viele Sherlock Holmes Pastiches gibt, ist relativ klar: Fans möchten mehr von Holmes Lesen und neue Abenteuer mit ihm erleben, möchten wissen, wie es weiter geht. Natürlich hat Doyle uns mit seinen 56 Kurzgeschichten und 4 Romanen nicht gerade einen kleinen Fundus geschenkt. Aber gerade dadurch, dass es so viele Geschichten gibt, baut der Leser zu Holmes und Watson eine Bindung auf, gewöhnt sich so sehr an sie, dass er sich nicht von ihnen trennen möchte.

Pastiches befriedigen oft einfach die Neugier und das Bedürfnis, mehr zu erfahren und tiefer blicken zu wollen. Es geht hier um Dinge, die die originalen Geschichten einfach offen lassen. Zum Beispiel wie Holmes Kindheit und Jugend aussahen oder was es mit seiner Bienenzucht im Alter auf sich hat. Oft setzen sie größeren Fokus auf die Freundschaft von Watson und Holmes – verstärken also das, was wir in den Geschichten lieben – oder geben einem einzelnen Aspekt, zum Beispiel Holmes‘ Drogensucht, mehr Raum. Oder sie fragen sich, was die Nebencharaktere eigentlich so treiben, während Holmes und Watson Rätsel lösen. Besonders beliebt ist die Frage: Was hat Holmes zu dem gemacht, was er ist? Warum ist er so distanziert und kühl? Ist in seiner Vergangenheit gar etwas passiert, dass ihn dazu veranlasst hat, seine Gefühle zu unterdrücken? Eine Frau vielleicht, die sein Herz gebrochen hat?

Die wenigsten Holmes Pastiches sind Geschichten, genau wie Doyle sie geschrieben hätte. Selbst die, die versuchen, sehr nah am Original zu bleiben und uns einfach einen „neuen Fall“ zu präsentieren, nehmen meistens zumindest kleine sprachliche Modernisierungen vor und entfernen Ausdrücke, die heute einfach nicht mehr genutzt werden. Das Wort „ejaculate“ taucht zum Beispiel in den Originalen häufig auf und bedeutet dort so viel wie „ausrufen“. In heutigen Pastiches wird es aber er selten verwendet, weil der Leser von heute darüber stolpern würde, wenn Watson plötzlich ejakulieren würde.

Pastiches erlauben außerdem das freie Spielen mit Ideen. Sie setzen neue Werte in die Holmes Gleichung ein und fragen sich: Was wäre wenn? So kann Holmes zur Frau werden, zum Teenager oder Moriarty zum Protagonisten, oder Mrs. Hudson zur Erzählerin der Geschichte. So kann Holmes seine Welt verlassen und in Lovecrafts Chutlu Universum landen oder plötzlich auf Dracula oder Außerirdische treffen. Manchmal wird Holmes selbst auch ganz aus der Gleichung gestrichen und wir nur einen Ermittler, der mit Holmes‘ Methoden einen Fall löst. In der Welt der Sherlock Holmes Pastiches gibt es nichts, das es nicht gibt. Genau das ist das Schöne daran: Sie erweitern die Sherlock Holmes Welt.

Darf ein Pastiche alles?

Um als (guter) Pastiche durchzugehen, reicht es aber nicht, Figuren Holmes und Watson zu nennen und sie einfach in irgendeine Art von Abenteuer zu stürzen. Man muss sie auch noch erkennen können.

Als Bewertungskriterium könnte man natürlich die Nähe zum Original ansetzen – also schauen, ob die Imitation täuschend echt ist und man glauben könnte, Doyle hätte diese Story geschrieben. Aber damit disqualifiziert man die Pastiches, die die Figuren aus ihrem normalen Setting und ihrer Zeit lösen oder Nebencharaktere zum Protagonisten machen. Die entscheidende Frage ist daher vielleicht eher: Wie viel Holmes steckt noch in der Geschichte? Steht der Name nur auf dem Cover, um die Verkaufszahlen anzukurbeln, oder erkennen wir wirklich die Figuren und ihre Charaktereigenschaften oder Struktur und Stil des Originals wieder?

Im Nachwort seines Holmes Pastiches The House of Silk (Das Geheimnis des weißen Bandes) hat der Autor Anthony Horowitz ein paar Regeln aufgestellt, die für ihn für die Erstellung eines guten Pastiches wichtig sind: Nicht versuchen, eine zweite Irene Adler zu erschaffen, keine Romantik zwischen Holmes und Watson, es mit den Action-Elementen nicht übertreiben, nicht zu viele Personen ermorden, die wichtigsten Charaktere (Lestrade, Moriarty, Mrs. Hudson und Co.) auftreten lassen, gut recherchieren, sprachlich den feinen Grat zwischen Imitation und Modernisierung beachten, keine berühmten Figuren unterbringen, Holmes Drogenproblem nicht in den Fokus rücken.
Horowitz hat mit diesen Regeln zweifellos einen hervorragenden Pastiche geschrieben und sicherlich auch einen, der den Originalen sehr nahe kommt, aber das heißt nicht, dass dies nun die goldenen Regeln sind.
Einiges davon versteht sich von selbst und man würde es ohnehin von jedem Buch erwarten – Stichwort: Recherche. Dass Holmes nicht zum Actionheld gemacht wird, versteht sich vermutlich ebenfalls – seine Waffe muss sein Verstand bleiben. Aber einiges davon hat doch eher mit persönlichen Vorlieben zu tun. Warum man zum Beispiel keine berühmten Figuren – seien sie nun fiktiv oder real – in seinen Holmes Pastiche einbauen sollte, erschließt sich mir beispielsweise nicht. Ich mag es, wenn Holmes auf berühmte tatsächliche Zeitgenossen trifft. Warum auch nicht? Er ist schließlich eine Ikone seiner Zeit, da darf er auch gerne auf andere Ikonen treffen. Hingegen stimme ich persönlich Horowitz Regel vollkommen zu, dass man auf Romanzen jeglicher verzichten sollte, weil ich solche Geschichten einfach grundsätzlich nicht gerne lese. Aber Romantik spielt vor allem in Young Adult Holmes Pastiches eine große Rolle und sollte daher auch nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Alles eine Frage des Geschmacks.

Erlaubt ist also erst einmal alles. Aber man sollte sich vielleicht fragen, ob man es wirklich mit einem neuen Holmes (oder Holmes verwandten) Abenteuer zu tun hat, oder ob die Charaktere nur zufällig Holmes, Watson, Hudson, Lestrade heißen und in Wirklichkeit nichts mit diesen Charakteren gemein haben. Manchmal steht einfach Holmes drauf, aber es ist keiner drin.

Mehr zur Funktion und Analyse von Pastiches erzählt euch Sabine in ihrem Artikel. Als Literaturwissenschaftlerin hat sie da eine größere Expertise. Ich bin nur ein kleiner Nonk – Nerd ohne Nennenswerte Kenntnisse – der gute Geschichten und Sherlock Holmes liebt. Deshalb habe ich zum Abschluss einfach noch ein paar Pastiches im Gepäck, die mich begeistert haben. Vielleicht habt ihr ja Lust bekommen (tiefer) in das Thema einzusteigen.

Ein paar Empfehlungen

Tja, welche sind meine liebsten Holmes Pastiches? Die Wahl fällt nicht besonders leicht, denn ich habe schon ziemlich viele Holmes Pastiches gelesen – Romane und Kurzgeschichten. Ich habe mich krumm gelacht, bei der Parodie Warlock Holmes; ich habe Holmes als alten Mann gesehen, der von seinem Gedächtnis verlassen wird (Mitch Cullin: Mr. Holmes); ich sah Holmes den Ripper jagen (Lyndsay Faye: Dust and Shadow); widmete mich einer Sammlung von Holmes Weihnachtsgeschichten, weil es im im Originalen Holmes Kanon einfach zu wenig davon gibt (Greenberg: Holmes for the Holidays); ich sah Holmes in Bram Stokers Wohnung einbrechen (Nicholas Meyer: The West End Horror); das Geheimnis von Dr. Jekyll ergründen (Estleman: Dr. Jekyll and Mr. Holmes); aus medizinischer Not heraus mit Watson Blutsbruderschaft schließen (Bonnie MacBird: Art in the Blood) und weinen, weil er keine rationale Erklärung für einen Fall finden konnte und einige Dinge tun, die ich lieber vergessen würde – zum Beispiel ungeschickten Sex mit Irene Adler zu haben (beides zu finden in: The Improbable Adventures of Sherlock Holmes).
Auch wenn ich denke, dass Holmes ein Charakter ist, der in der Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart funktioniert, mag ich es am liebsten, wenn man die Geschichten dort belässt, wo sie herkommen: Dem viktorianischen Zeitalter. Kurz gesagt, ich mag das klassische Holmes Feeling mit Londoner Nebel und über das Kopfsteinpflaster bretternden Kutschen. Hier sind meine Favoriten:

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Anthony Horowitz: The House of Silk (Das Geheimnis des weißen Bandes)
Wer einen Pastiche sucht, der dem Original sehr, sehr nahe kommt, sollte es vielleicht mit Anthony Horowitz versuchen. Seine Pastiches The House of Silk und Moriarty sind die einzigen, die vom Conan Doyle Estate beauftragt wurden und begeistern alte Fans und Neueinsteiger gleichermaßen.
Die Geschichte in The House of Silk beginnt ganz klassisch mit einem Klienten, der sich an Holmes wendet. Um der Sache nachzugehen, setzt Holmes einen seiner Baker Street Irregulars auf der Fall an, der jedoch kurze Zeit später von Mitgliedern des geheimnissvollen „House of Silk“ ermodert wird. Die Ermittlungen zur Aufklärung und der Entwirrung der Verschwörung der Geheimgesellschaft bringen Holmes an seine Grenzen (und sogar ins Gefängnis).
Horowitz zeigt uns hier einen Fall, der größer aufgezogen ist als im Original, überzeugt aber durch die wunderbar authentische Atmosphäre. Man hat sehr stark das Gefühl, sich hier in einer Sherlock Holmes Story aus viktorianischen Zeiten zu bewegen. Es ist dieses ‚Ah, ich bin wieder zuhause Gefühl“, das das Sherlockianer Herz erwärmt. Man merkt außerdem, dass hier ein Krimi-Profi am Werk ist, der einfach weiß, wie man eine spannende Geschichte aufbauen muss. Die Auflösung – auch wenn sie mir schon vor ihrer Enthüllung klar wurde – lässt den Leser schlucken. Kein Wunder, dass Watson hier seine Geschichte damit einleitet zu sagen, dass die Enthüllungen für die damalige Zeit zu schockierend waren. Wer Krimis mag, der fühlt sich hier wohl und wer Doyles Originale Holmes Geschichten liebt, erst recht.

Graham Moore: The Sherlockian (Der Mann, der Sherlock Holmes tötete)
Graham Moores The Sherlockian ist ein Pastiche, der ganz ohne Sherlock Holmes auskommt. Dafür werden aber gleich zwei Erzählstränge präsentiert, in denen seine Methoden zum Einsatz kommen. In einem davon geht es um einen jungen Sherlockianer, der plötzlich den Mord an einem Doyle-Biografen aufklären und gleichzeitig ein verschwundenes Tagebuch von Doyle finden muss. Im zweiten geht es ins viktorianische London und wir begleiten Arthur Doyle zu der Zeit, die das verschwundene Tagebuch umfasst. Doyle versucht dort eine Reihe von Morden an Frauen aus der Suffragette-Bewegung aufzuklären. Er hat sogar einen Watson: Diese Rolle übernimmt kein geringerer als Bram Stoker – der Autor von Dracula! (Wie war das mit den berühmten Figuren?) Je weiter das Buch voranschreitet, desto klarer wird, warum dieser Abschnitt von Doyles Tagebuch so brisant ist und warum vielen Parteien daran gelegen sein dürfte, es unter allen Umständen zu vernichten.
The Sherlockian ist ein Roman, der mit viel Spannung, falschen Fährten und vor allem ganz fantastischer Atmosphäre glänzt, aber manchmal vielleicht mit Elementen aufwartet, die etwas über das Ziel hinausschießen. (Doyle, der sich in Frauenkleidung in ein Suffragette Meeting schleicht zum Beispiel.) Was ich an diesem Buch jedoch mochte, ist die Betrachtung des Holmes Phänomens an sich – inklusive Obsession und Holmes-Kult. Moore spart auch nicht an Kritik. Weder die Ermittlungsmethoden des berühmten Detektivs, noch Arthur Conan Doyle, noch die Baker Street Irregulars, noch das Conan Doyle Estate kommen besonders gut bei der Sache weg. Das ist eine recht erfrischende Herangehensweise.
Zusätzlicher Gänsehautfaktor: Der ungewöhnliche Todesfall, den der Held hier aufklären muss, ist an einen realen Todesfall angelehnt: Doyle Biograf Richard Green kam unter sehr mysteriösen Umständen zu Tode: Er hatte versucht, eine Auktion von Dokumenten aus dem Besitz Doyles zu verhindern und erzählte Bekannten, dass er verfolgt würde und um sein Leben bangen würde. Einige Tage später wurde Green, erdrosselt mit einem Schnürsenkel, in seiner Wohnung aufgefunden. Bis heute ist nicht vollends geklärt, ob es sich um Mord oder Selbstmord handelte.

Nicholas Meyer: The Seven Percent Solution (Kein Koks für Sherlock Holmes)
Nicht nur ein schönes Beispiel für merkwürdige deutsche Titelübersetzungen, sondern auch ein Beispiel für einen Holmes-Pastiche, der zum Bestseller wurde. The Seven Percent Solution war der allererste Pastiche, den ich gelesen habe und deshalb der Ursprung einer kleinen Liebe. Er erzählt die „wahre Geschichte“ von The Final Problem. Denn dem geneigten Leser dürfte nicht entgangen sein, dass es ein paar Ungereimtheiten in der Geschichte gibt. Diese erklärt Watson hier nun damit, dass er sich das alles nur ausgedacht hatte, um die Wahrheit zu vertuschen. Dieses „Manuskript“ ist Nicholas Meyer in die Hände gefallen, der hier nun die Rolle des Lektors übernimmt und die Geschichte mit teilweise extrem witzigen Anmerkungen versieht.
Aber wie sieht die Wahrheit aus? Nun, Holmes Drogenproblem ist außer Kontrolle geraten und er kann nicht mehr zwischen Einbildung und Realität unterscheiden. Aus seinem früheren Mathelehrer macht er plötzlich seinen Erzfeind. Watson ist besorgt um seinen Kumpel und lockt ihn unter einem Vorwand nach Wien, wo Sigmund Freund – ja, richtig gehört – ihn behandeln soll. Natürlich ergibt sich dort aber auch zufällig ein Fall, den es zu lösen gilt und der damit endet, dass sich Holmes einen Schwertkampf auf dem Dach eines fahrenden Zuges liefert, während Sigmund Freud unermüdlich Kohlen schippt. Was nach einigermaßen hanebüchener Fanfiction klingt, ist tatsächlich ein unglaublich unterhaltsames, witziges, aber manchmal auch emotionales und in sich schlüssiges Buch, das mich seinerzeit sehr gefesselt hat. So sehr, dass ich das Essen im Ofen anbrennen ließ. Am Ende wird Freud Holmes hypnotisieren und somit nicht nur die Gründe seiner Drogensucht sondern auch so nebenbei, die Gründe für die Berufswahl, das Schweigen über seine Kindheit und Jugend und sein abfälliges Verhalten gegenüber Frauen ergründen. Spoiler Alert: Es ist nicht, weil er unglücklich in jemanden verliebt war. Gott sei Dank!

Lyndsay Faye: The Whole Art of Detection
Lyndsay Faye ist für mich die unangefochtene Königen des Holmes Pastiches! Mich hatte bereits ihr Holmes Roman Dust and Shadow sehr begeistert und daher stand es außer Frage, dass ich auch The Whole Art of Detection lesen musste.
Worum geht’s? Das Buch ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sich zumeist um die „Lost Cases“ (Fälle, die in den Originalen erwähnt aber nicht erzählt werden) drehen. Mal davon abgesehen, dass Lyndsay Faye hier beweist, dass sie Doyles Stil – mit der einen oder anderen sprachlichen Modernisierung – täuschend echt imitieren kann, beweist sie auch ein echtes Händchen für die Figuren. Bei ihr im Fokus steht die Beziehung zwischen Holmes und Watson. Sie zeigt uns das, was für viele essentieller Bestandteil der Holmes Geschichten ist: Die ungewöhnliche Freundschaft dieser beiden Männer. Die äußert sich hier in den kleinen Momenten, die wir im Kanon vielleicht gern öfter gesehen hätten. Einen trauernden Watson lenkt Holmes mit einer spannenden Geschichte eines alten Falls ab und Watson beteuert seine Loyalität, indem er dem, in seinen Sozialfähigkeiten ja doch etwas eingeschränkten, Detektiv auch bei pikfeinen Gartenparties zur Seite steht. Beim Lesen dieses Buches konnte ich weder den einen oder anderen Lacher, noch ein paar Tränchen unterdrücken. Für die Geschichte An Empty House, die nach der Beerdigung von Watsons Frau und nach dem vermeintlichen Ableben Holmes‘ spielt, empfehle ich beispielsweise, ein paar Taschentücher bereitzulegen. Wenn ihr nur einen Pastiche lest, dann lasst es The Whole Art of Detection sein!


So nun aber rüber zu Sabine – ihren Artikel findet ihr HIER. Außerdem hat Sabrina von Sabrinas Blogwelt einen tollen Betrag über den Vergleich zweier Young Adult Sherlock Romane verfasst. Schaut doch mal vorbei 😊

Wie sieht es bei euch aus: Was haltet ihr von Pastiches? Habt ihr schon welche gelesen? Wenn ja: Hat es euch gefallen?

There are 8 comments

  1. Sabrina

    Liebe Karo,

    erstmal danke, dass ich mich diese Woche bei den #bakerstreetblogs einklinken durfte, das hat sehr viel Spaß gemacht! Und vielen Dank für deine Empfehlungen, meine Wunschliste ist direkt explodiert 😀

    Liebe Grüße
    Sabrina

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  2. federecke

    Hallo Karo,
    vielen Dank für diesen Beitrag. Der Begriff Patiches ist mir so noch gar nicht untergekommen. Ich wusste dass Horowitz durchaus weitergeschrieben hat, die anderen waren mir bisher habe unbekannt. Die muss ich mir demnächst auf jeden Fall noch genauer ansehen.
    Beste Grüße
    Chrissi

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    1. Karo

      Hey Chrissie 🙂 Super cool! Horowitz ist schon einer der besten – das muss man sagen. Aber persönlich würde dir Lyndsay Faye ganz besonders ans Herz legen. Ich liebe, liebe, liebe ihre Pastiches 🙂

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  3. ninakol.

    Da hast Du Dir ja auch etwas vorgenommen, aus diesem unglaublichen Wüst von Geschichten, die man unter dem Wiedererkennungswert Sherlock Holmes, Watson und Co veröffentlicht hat, welche herauszufordern. Ich finde es nämlich sehr schwierig, da die Spreu vom Weizen zu trennen. (Vor allem, wenn man noch die ganzen Höhespiel Reihen dazu nimmt.)
    Manches habe ich begeistert angefangen, es gab zB mal eine Serie um Lestrade, Jugendromane, unentdeckte Fälle und Romane, die aus der Sicht einer Frau spielten, welche den Detektiv doch noch später in eine Partnerschaft geführt hatten… Oft erlahmte das Interesse, zu abwegig, nicht den Charm des Originals, wiederholende und langweilig werdende Erzählstränge,… kennst Du sicher auch. Tja, es gehört eben mehr dazu, gute Geschichten zu schreiben, als dem Hauptcharakter Geige und Pfeife, Deduktion und Schrulligkeit zu geben.
    Da freut man sich als Fan auf neue Fälle und die ersten Seiten lassen sich gut an, wenn man Glück hat, hält sich das über den Roman hin und dann kommt Nichts mehr.
    Dein Hinweis zu den Warlock Holmes Büchern hat mir seid Horowitz Weissen Band endlich Mal wieder etwas gebracht, was ich wirklich gut finde. So ganz anders und lustig.

    Danke für deine Mühen und liebe Grüße
    Nina

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    1. Karo

      Hey Nina,
      ja, da hast du vollkommen recht. Es ist manchmal ein wenig mühsam die Spreu vom Weizen zu trennen – und vor allem zeitintensiv. Ich hatte aber bisher eigentlich fast immer Glück mit der Auswahl – zumindest was die Romane betrifft. Bei Kurzgeschichten kann man es ja verkraften, wenn mal eine nicht überzeugt. Ist dir noch was im Gedächtnis geblieben, das richtig gut war?
      Super cool, dass dir Warlock gefällt. Ich lese gerade Band 3 und bin immer noch sehr angetan 🙂
      Liebe Grüße

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