Magie in Literatur und Film (2): Die Gesetze der Magie – wie Zauberei in Geschichten (nicht) funktioniert

So liebe Freunde der Zauberei, es hat ein wenig gedauert, aber nun geht die kleine Reihe zu Magie in der Fiktion in die zweite Runde. Heute schauen wir uns an, wie Magie in Geschichten nicht funktioniert und wie ein Magie-System aufgebaut werden sollte, damit Leser oder Zuschauer nicht kopfschütteld fragen: Was zur Hölle war das denn gerade? Denn natürlich ist Magie großartig – das wissen wir (und wir schauen es uns im nächsten Artikel genauer an). Aber sie sollte auch kein universeller Problemlöser sein.

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Der Zauberer, der mich überhaupt erst auf die Idee gebracht hat, mich mit dem Thema Magie zu beschäftigen, ist der Marvel Superheld Doctor Strange. Wer mir auf Social Media Kanälen folgt, oder hier ab und zu mal mitliest, weiß vielleicht, dass ich eine kleine Schwäche für Doc Strange habe. Aber überraschenderweise nicht, weil der Einsatz von Magie in diesen Geschichten besonders gut funktioniert. Ja gut, ich muss es einfach mal so sagen: Der gute Doktor hat ein paar schwerwiegende Probleme, was Magie betrifft. Welche, das schauen wir uns gleich an.

Aber keine Sorge, falls ihr nichts mit Doc Strange anfangen könnt oder die Filme/Comics nicht kennt. Es sind im Grunde recht allgemeine Probleme. Bevor wir uns mit dem „Sorcerer Supreme“ beschäftigen, schauen wir uns ohnehin erst einmal an, wie Magie theoretisch eingesetzt werden sollte, damit ihr Einsatz in einer Geschichte Sinn macht.

Sanderson’s Laws of Magic

Sucht man nach Antworten auf die Frage, was Magie in einer Geschichte leisten oder nicht leisten kann, stößt man früher oder später auf Sandersons Gesetze der Magie. Brandon Sanderson ist ein Fantasyautor, auf den wir schon im letzten Teil der Reihe zu sprechen kamen. In seinen Gedanken dazu, wie ein gutes Magie System aufgebaut sein kann, entwickelte er drei Gesetze, die sogenannten „Sanderson‘s Laws of Magic“. Diese werden als Vorgabe für Fantasy Autoren auf der ganzen Welt genutzt, in der einschlägigen Literatur beschrieben und in beinahe jeder Diskussion zum Thema angesprochen. Obwohl sie als Gesetze bezeichnet werden, stellt Sanderson jedoch heraus, dass es sich dabei lediglich um Ideen dazu handelt, wie Magie in Geschichten funktionieren kann.

Ich bin natürlich kein Autor, sondern ein Leser/Zuschauer. Aber Sandersons Vorgaben erscheinen mir sinnvoll und verdeutlichen im Grunde das, was ich mir von Magie innerhalb einer Geschichte wünsche.

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Sanderson’s First Law

An author’s ability to solve conflict with magic is DIRECTLY PROPORTIONAL to how well the reader understands said magic.

 

Diese Regel könnte man auch als Anti Deus Ex Machina Gesetz bezeichnen. Falls euch der Begriff Deus Ex Machina nichts sagt: Es ist der Feind einer jeden befriedigenden Auflösung einer Geschichte. Der Begriff im ursprünglichen Sinne meint das Auftauchen einer Gottheit im Theater mithilfe einer Bühnenmaschine. Heutzutage bezeichnet er alle durch plötzliche, unmotivierte Ereignisse, Personen oder Mächte, bewirkte Lösungen eines Konflikts. Einfach ausgedrückt: Jemand oder etwas taucht aus heiterem Himmel auf und rettet den Tag.
Das ist grundsätzlich erst einmal kein rein ‚magisches‘ Problem. Jede Geschichte kann dieser unbefriedigenden Auflösung zum Opfer fallen, wenn Autoren es sich allzu leicht machen wollen. Aber Magie, mit all den Möglichkeiten, die sie eröffnet, ist quasi eine Lizenz zur Faulheit. Einfach den Zauberer vorbeischicken, der mit dem Zauberstab wedelt und einen Zauber aus dem Hut zieht und ZACK ist das Problem gelöst! Gut, das kann man so machen, sieht vielleicht auch cool aus, aber ist dann halt scheiße unbefriedigend.

Was natürlich nicht heißen soll, dass Magie grundsätzlich ungeeignet ist, um Konflikte innerhalb einer Geschichte zu lösen. Um das zu tun, muss aber der Leser oder Zuschauer mit den Regeln, die die Magie umgeben, vertraut sein. Anderenfalls entsteht nämlich bei jedem Einsatz das Gefühl eines billigen Tricks – man fühlt sich schlicht und ergreifend betrogen, wenn plötzlich ein bis dato unerklärtes magisches Phänomen den Tag rettet. Versteht ein Leser oder Zuschauer die Magie und das Magie-System innerhalb der Geschichte dagegen, wird es ihm nicht willkürlich und unmotiviert erscheinen, wenn ein magisches Element zur Konfliktlösung verwendet wird. Ein Beispiel? Im ersten Harry Potter Teil, Harry Potter und der Stein der Weisen, trifft Harry im Laufe des Buches auf einen geheimnisvollen Spiegel, in dem er seine verstorbenen Eltern neben sich stehen sieht. Er lernt anschließend, dass der Spiegel „Nerhegeb“ dem Betrachter den tiefsten Herzenswunsch zeigt. Dass die Funktionsweise des Spiegels erklärt wurde und der Leser diese versteht, war wichtig dafür, dass dieser magische Spiegel am Ende dazu genutzt werden konnte, den Konflikt (Voldemort möchte den Stein, Harry möchte den Stein vor Voldemort retten) verwendet werden konnte, ohne dass sich der Leser mit einem völlig neuen Element konfrontiert sieht.

Soll heißen: Wenn man als Autor einen Konflikt mit Magie lösen möchte, muss dieses magische Element auf etwas aufbauen, das der Leser bereits kennt. Je besser der Leser versteht, was Magie kann und was nicht, desto mehr eignet sie sich zur Lösung eines Konflikts. So kann außerdem auch besser nachvollzogen werden, welche Schwierigkeiten oder Hürden für die Figuren in der Geschichte entstehen, wenn sie versuchen, Magie einzusetzen.

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Sanderson’s Second Law

Limitations > powers

 

Wie die kurze knackige Form des Gesetzes schon zeigt, ist auch die Erklärung simpel: Die Grenzen der Magie müssen größer sein als ihre Kraft – und sie sind auch interessanter.

Hat Magie keine Grenzen und kann zur Lösung jedes Konflikts eingesetzt werden, wird sie langweilig und belanglos. Es MUSS also Einschränkungen der Magie geben oder zumindest einen Preis, zu dem sie eingesetzt werden kann. Das ist für die Handlung wesentlich wichtiger als coole magische Effekte.
Die Etablierung von Grenzen sorgt nämlich dafür, dass innerhalb der Erzählung mehr Spannung und Entwicklung erzeugt wird, zum Beispiel auch dadurch, dass eben diese Grenzen ausgetestet werden. Es muss Dinge geben, die die Figur daran hindern, unbegrenzt den Zauberstab zu schwingen oder sonstige magische Fähigkeiten einzusetzen. Das muss übrigens nicht unbedingt eine tatsächliche Grenze sein – also ein Limit an Zaubern oder eine festgelegte Stärke der Magie – sondern kann zum Beispiel auch ein moralischer Kodex sein.

Außerdem sorgt ein Charakter, der unbegrenzt Magie zum Lösen seiner Konflikte einsetzen kann – und nie auf andere Eigenschaften angewiesen ist oder kein „Kryptonit hat – nicht dafür, dass sich ein Leser oder Zuschauer in irgendeiner Form mit ihm identifizieren kann. Ein solcher Charakter ist eine gottgleiche Figur. Was natürlich witzig sein kann, wenn man es sparsam einsetzt – man denke da an Q aus Star Trek. Aber ist es besonders ratsam eine solche Figur zum Protagonisten einer Geschichte zu machen? Eher nicht – deshalb sieht man es auch selten. Denn wie soll man spannende Konflikte für sie erschaffen?

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Sanderson’s Third Law

Expand what you already have before you add anything new.

 

Natürlich ist es insbesondere für das Fantasy Genre von elementarer Bedeutung, Neues und Wundervolles zu erschaffen – von Magie-Systemen, über fantastische Kreaturen bis hin zu ganzen Kulturen und mystischen Settings. Aber der Leser oder Zuschauer sollte nicht permanent mit neuen Zaubereien bombardiert werden.
Sandersons Faustregel ist daher: Alles, was für das Worldbuilding von Belang ist, sollte innerhalb des ersten Drittels des Buches oder der Geschichte festgelegt und erläutert werden. Alles Magische und Wundervolle was danach in der Geschichte passiert, sollte seinen Ursprung in dem haben, was bereits eingeführt und erklärt wurde.

Ob man nun diese Erstes-Drittel-Regel als willkürlich empfindet, mag dahingestellt sein. Aber dass eine gut konstruierte fiktive Welt nicht davon Leben sollte, bis zum Ende hin mit neuen Elementen ausgestattet werden, können wir vielleicht alle unterschreiben. Fügt man immer und immer wieder neue Magie hinzu, läuft man Gefahr, dass die Geschichte überladen, zusammengestückelt und unglaubwürdig wirkt.
Indem sich Autoren dazu zwingen, gründlich darüber nachzudenken, was bereits etablierte magische Elemente bewirken können, können sie ein realistischeres und verwurzelteres Magie-System schaffen, das den Lesern das Gefühl gibt, diese Welt wirklich zu verstehen. Das Motto lautet also: Weniger ist oft mehr.

What’s wrong with Doctor Strange?

Gut, Freunde. Diese Regeln erscheinen einleuchtend, oder? Retrospektiv ist mir nun auch vollkommen klar, woher eigentlich meine eingangs erwähnten Probleme mit Doctor Strange stammen: Er verstößt häufig gegen diese Regeln – und das versaut einige seiner magischen Abenteuer. Inwiefern? Das schauen wir gleich. Vorab noch ein Hinweis am Rande: Ich versuche das Folgende so allgemein wie möglich zu halten, bzw. das zu erklären, was man wissen muss – sodass man diesem Abschnitt auch folgen kann, wenn man sich noch nicht mit Doctor Strange Filmen oder Comics auseinandergesetzt hat. Vielmehr soll es hier darum gehen, zu zeigen, was passiert, wenn man sich nicht so viele Gedanken um sein Magie System macht wie Brandon Sanderson. Also Vorhang auf: The Doctor is in.

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Doctor Strange – Wer ist das?

Doctor Stephen Strange ist ein Superheld aus dem Marvel Comic Universum. Erstmals die Comic Bühne betrat er 1963, seit 2016 ist er auch in Filmen der Marvel Studios zu sehen.
Einst arroganter, narzisstischer Chirurg, durchläuft Doctor Strange die typische Superhelden-Entwicklung zum selbstlosen Retter der Erde. Was ihn jedoch von anderen, sagen wir mal klassischeren, Superhelden wie Iron Man und Co unterscheidet: Er kann zaubern. Allerdings nicht von Natur aus, sondern Magie ist etwas, das der gute Doctor in Jahren des Studiums erlernt hat. Sein Mentor ist dabei ein Magier namens ‚The Ancient One‘. Nachdem Doctor Strange sein Studium gemeistert hat und diverse teils moralische Prüfungen bestanden hat, tritt er die Nachfolge seines Mentors an. Er wird zum „Sorcerer Supreme“, dem mächtigsten Zauberer der Erde. Seine Aufgabe ist es, unsere Welt, Realität und Dimension vor Bösem zu schützen.

Im letzten Beitrag sprachen wir über Soft und Hard Magic Systems, und darüber, dass Superhelden-Magie meist in die Kategorie „harte Magie“ fällt: Es gibt klar definierte Regeln für den Einsatz der Magie, ihrer Grenzen und so weiter. (Wer noch mal nachlesen will: HIER). Doctor Strange, als DER Magier der Marvel Comics bildet hier aber überraschenderweise die sprichwörtliche Ausnahme. Denn die Regeln und Grundsätze, die seine Magie umgeben, sind mehr als schwammig. Viele seiner Geschichten leben allein vom Gefühl des Erstaunens, dem „Sense of Wonder“. Was aber nicht ganz ausreicht, um eine Geschichte zu einem zufriedenstellenden Abschluss zu bringen. Welche magischen Probleme hat der Mann also?

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Problem Nummer 1: Magisches Gibberisch

Wie wir in Sandersons erstem Gesetz der Magie gesehen haben, ist es für den Leser/Zuschauer wichtig, die Magie zu verstehen. Nur dann kann sie genutzt werden, um einen Konflikt zu lösen. Hier nun stößt der gute Doctor Strange – insbesondere in den frühen Comics – auf Probleme. Wobei natürlich auch keine vollkommene magische rechtsfreie Zone herrscht. Ein paar Regeln gibt es schon: So sind zum Beispiel viele von Stranges magischen Fähigkeiten an spezifische Objekte gebunden (wie zum Beispiel die Fähigkeit zu fliegen oder Portale zu öffnen). Aber gleichzeitig gibt es auch viel magisches Mambowambo. Denn wir wissen nicht genau, wie Magie in diesen Geschichten funktioniert, wissen nicht immer, woher Strange gerade seine magische Kraft zieht und vor allem nicht, wo die Grenzen der Magie liegen. Dieses „How the fuck does your magic work?“ Gefühl, entsteht vor allem, wenn Doctor Strange einen seiner magischen Zaubersprüche aus dem Hut zieht. Statt “Abrakadabra, dreimal Schwarzer Kater” sagt Doctor Strange Dinge wie: “By the power of the Vishanti I summon all the forces of good!” oder by “By the Hoary Hosts of Hoggoth, thing of evil — BE GONE!”
Ja und dann? Ja, dann explodiert der Bösewicht. Einfach so. Und als Leser sitzt man da und denkt sich: Ernsthaft? Du hast grad ein bisschen Gibberisch gesprochen und damit deinem Feind in die Luft gejagt?
Tatsächlich sind diese Zaubersprüche in Wahrheit Pakte mit Gottheiten oder mit Dämonen. Strange erbittet durch seine Zaubersprüche Hilfe, z.B. bei den Vishanti. Das ist erstmal ein cooles Element – insbesondere, weil die potentiell eine Gegenleistung einfordern könnten – aber leider führt das eigentlich nie zu einer befriedigenden Auflösung des Konflikts in der jeweiligen Geschichte. Denn erstens wird das nicht wirklich erklärt, zweitens verleihen ihm diese Deals offenbar immer genau das, was er gerade braucht. Welche Kräfte ihm die Vishanti beispielsweise gerade zusprechen oder was die überhaupt alles können, bleibt unklar. Daher wirkt es immer wie ein komischer Trick, der in letzter Minute den Tag rettet. Deus Ex Machina auf Gibberisch quasi.

Mal ganz davon abgesehen, dass Doctor Strange als Figur selbst ein einziges personifiziertes Deus Ex Machina ist – bzw. sein kann. Nämlich dann, wenn er nicht in seinen eigenen Stories auftritt, sondern in anderen Gastauftritte hat. Wenn die anderen Superhelden nicht wissen, wie sie fortfahren sollen, dann können sie immernoch den Zauberer rufen. Wenn man sich also in eine Ecke geschrieben hat, kann er das Ganze richten. Denn Doctor Strange weiß alles, kann alles und sieht alles. Und das führt uns auch schon zum nächsten Punkt:

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Problem Nummer 2: Die Frustration der Omnipotenz

Doctor Strange ist der „Sorcerer Supreme“. Und wie der Name schon vermuten lässt, ist auch seine Kraft „Supreme“. In den Marvel Filmen allein (ich nehme an, die meisten von euch, kennen hauptsächlich die) sehen wir eine ganze Menge Kräfte: Er kann Portale zu anderen Orten der Erde öffnen. Er kann andere Dimensionen betreten. Sein Geist kann seinen Körper verlassen. Er kann Waffen und Schilde heraufbeschwören. Er kann alternative Zukunftszenarien sehen und er kann die Zeit manipulieren. Das ist ein ziemlich beeindruckender Fundus an Fähigkeiten – vor allem, wenn man hinzurechnet, dass Strange von Natur aus mit hoher Intelligenz und einem fotografischen Gedächtnis gesegnet ist. Doch in den Comics sind Stranges Kräfte noch viel, viel größer. Hinzu kommen dort ein beinahe unerschöpflicher Vorrat an Zaubern, Telekinese, Gedankenkontrolle und und und. Man werfe hier mal einen Blick auf diesen Artikel, der die 20 beeindruckendsten Fähigkeiten Doctor Stranges auflistet. Die Top 20! Es gibt also noch viel mehr! Wie viele Fähigkeiten kann ein einzelner Magier denn haben? Wo sind seine Grenzen?

Das ist storytechnisch ein riesiges Problem. Denn wenn man einen Helden hat, der beinahe schon omnipotent ist, wie willst du Konflikte für ihn kreieren? Was könnte passieren, damit dieser Held sich einem Problem gegenübersieht, das er nicht einfach „wegzaubern“ kann?

Nun, das passiert bei Doctor Strange im Wesentlichen auf zwei Wegen:
Der erste davon ist der offensichtliche: Man stellt einen Antagonisten mit noch größeren (was irgendwann wirklich unglaubwürdig wird) oder gleichen Fähigkeiten zur Verfügung. Doctor Stranges interessantester Widersacher ist Baron Mordo, der dieselbe magische Ausbildung bekam wie er selbst. Diese magische Helden-Widersacher-Kombination funktioniert gut, weil sie Spannung erzeugt und es am Ende darauf ankommt, wer die größere mentale Stärke, die besseren Tricks, die größere Weisheit hat. Weil man aber nicht nur Geschichten um Baron Mordo sehen möchte, passiert jedoch häufig etwas ganz anderes: Strange verliert seine Fähigkeiten. Mal kommen Monster, die ihm seine Kräfte absaugen, mal steckt er in irgendeiner Blase fest, mal sind seine Kräfte schlicht aufgebraucht, weil irgendeine Gottheit nun doch mal eine Gegenleistung gefordert hat, mal gibt es Gerätschaften, die ihn am Zaubern hindern. Da beginnt man sich natürlich irgendwann zu fragen: Wie viele Möglichkeiten kann man sich wohl einfallen lassen, damit dieser Zauberer nicht zaubern kann?
In der Quintessenz sind übrigens beide Szenarien gleich: Doctor Stranges Magie ist nutzlos. Deshalb endet eine große Anzahl von Doctor Stranges Abenteuer mit einem Faustkampf. Was natürlich nicht das ist, was man in einer Geschichte über einen Zauberer lesen will. Daher: Gib deiner Magie Grenzen, dann kommst du gar nicht erst in die Bredouille.

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Problem Nummer 3: MORE MORE MORE (more more more!)

Was dieses Zu-viel-Power-Problem noch verstärkt, ist, dass man Doctor Strange mit immer weiteren Fähigkeiten ausstattet, wenn es gerade nützlich ist, anstatt mit den Gegebenheiten zu arbeiten, die bereits vorhanden sind – und das sind ja nicht wenige.

Doctor Strange kann 14.000.000 Millionen alternative Zukunftsszenarien sehen und erfährt so den einzigen Weg, wie man den Superbösewicht Thanos besiegen kann? Wie nützlich!
Doctor Strange kann Kung-Fu? Na, was für ein Glück! Dann kann er ja auch kämpfen, wenn seine Zauberkraft alle ist!
Doctor Strange müsste dringend mal zu jemandem Kontakt aufnehmen, aber steckt gerade irgendwo fest? Kein Problem – wusstet ihr etwa noch nicht, dass er jetzt auch zu rein mentaler Kontaktaufnahme fähig ist?
Doctor Strange lernt zwar, dass man die Zeit nicht manipulieren darf, weil das verheerende Konsequezen haben könnte aber macht es dann doch, weil es cool aussieht? Na klar!

Besonders in den Comics wird es wirklich irgendwann hanebüchen. Zwar sind die Regeln und Grenzen von Stranges Magie, wie erwähnt, sehr schwammig, aber wir wissen im Grunde schon, dass Doctor Strange nicht den Kosmos zerstören kann. All das ändert sich (glücklicherweise nur für kurze Zeit) in den 90ern – übrigens insgesamt eine schlechte Zeit für Strange Comics. Nachdem er mal wieder seiner Kräfte beraubt wurde, verschafft sich Strange dort gleich eine ganz andere Art von Magie: „Chaos Magic“. Chaos Magic ist Magie, die das Gewebe der Existenz und der Realität manipulieren, verzerren, rekonstruieren und den Kosmos total zerstören kann. Really? Braucht Doctor Strange wirklich noch mehr Magie? Seine magischen Fähigkeiten sind doch wohl schon beeindruckend genug. Wie war das noch mit „weniger ist mehr?“

Warum ich Doctor Strange trotzdem liebe

Nach dem ganzen Gezeter fragt ihr euch vielleicht, warum ich trotzdem ein Fan des Sorcerer Supreme bin? Nun, man kann Dinge mögen, obwohl sie nicht fehlerfrei sind. Und es gibt vieles in Doctor Strange Filmen und Comics, das einfach unsagbar cool ist. Es ist das Gefühl des Staunens, das ich liebe. Zwar ist es ungeeignet, um Geschichten zu einem zufriedenstellenden Abschluss zu bringen, aber hin und wieder ist es einfach extrem unterhaltsam. Doctor Stranges Geschichten sind in Comics und Filmen visuell außerdem ausgesprochen ansprechend und strotzen vor Farbe und psychedelischen Effekten. Man denkt sich manchmal: Ah okay, ich merke, ihr wart offensichtlich auf LSD, als ihr euch diese Geschichte ausgedacht habt. Die Stories rütteln oft an dem, was man sich so vorstellen kann:


Es gibt außerdem einige spannende Themen. Die klassische Superhelden-Problematik á la „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“ wird hier beispielsweise auf die Spitze getrieben. Der Doc hat eine ganze Menge Macht – vielleicht zu viel für einen Sterblichen – aber eben auch eine ziemliche Verantwortung. Dafür verantwortlich zu sein unsere Realität zu schützen? Nun, ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Doc Strange droht oft an eben dieser Verantwortung zu zerbrechen.

Das spannendste Element aus den jüngeren Doctor Strange Comics – und es ist eines, das im MCU noch nicht erkundet bzw. nur angedeutet wurde, ist, dass der Einsatz von Magie seinen Preis hat. Neuere Comics wie die Reihe von Aaron und Bachalo von 2016 fokussieren sich verstärkt auf dieses Thema. In diesen Comics mutet das Strange Universum schon fast ein wenig lovecraftesk an – die Geschichten sind extrem düster und wirken bedrückend. Wir sehen darin, was Strange tun muss, um überhaupt am Leben zu bleiben und nicht an seiner magischen Energie zugrunde zu gehen. Was außerdem deutlich spürbar ist: Neuere Comics wie diese und auch die MCU Filme versuchen die magischen Stolperfallen für Strange und die Leser/Zuschauer zu reduzieren und sich von der wirklich manchmal lächerlichen Omnipotenz zu entfernen. Sie verwenden mehr Zeit darauf, zu erklären, wie Stranges Magie wirkt und was es den Doktor kostet, sie einzusetzen. Das ist etwas, das den frühen Comics eindeutig fehlt. Stranges Zukunft sieht also immerhin rosiger aus.

Kurzum: Doctor Strange ist cool, aber es würde ihm ganz gut tun, wenn er sich zukünftig ab und zu mal ein Portal zu Brandon Sanderson aufmachen würde. Was haltet ihr von Sandersons Laws of Magic? Sind sie eine gute Grundlage für magische Geschichten?

Hier geht’s zum dritten und letzten Teil der Artikelreihe: Magic matters – Warum das Fantasy-Genre so wichtig für uns ist


Zum Nachlesen:

Brandon Sanderson:
Sanderson’s First Law
Sanderson’s Second Law
Sanderson’s Third Law

Jodie Milner:
Magic Systems 101: Pt.3 Sandersons Laws of Magic

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There are 7 comments

  1. ninakol.

    Hi. Magie ist unglaublich schwammig und nicht immer gut für Geschichten. Dann wieder ist sie großartig. Ich sag nur „fuego“ (Harry Dresden) oder in den Chroniken von Maradein um was Neueres zu nehmen. Magie ist immer begrenzt, kann auch ein Problemauslöser sein, ist nicht immer die Problemlösung. Aber zu Fantasie gehört irgendwie immer auch ein wenig Magie, oder?
    Sonst wäre es einfach zu real. 😉
    Liebe Grüße
    Nina

    Gefällt 1 Person

  2. buchvogel

    Vielen Dank für den zweiten Teil. Es klingt total einleuchtend. Falls ich mal etwas in diese Richtung schreibe, werde ich das definitiv beherzigen. Und ich werde es im Hinterkopf behalten, wenn ich das nächste Mal Fantasy lesen.
    LG
    Daniela

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    1. Karo

      Danke Daniela! Seit ich mich mit dem Thema Magie beschäftige, achte ich beim Lesen auch immer halb unbewusst drauf, welches Magie System in der Geschichte genutzt wird und ob die ‚Gesetze der Magie‘ beherzigt werden. Macht Spaß! Einen schönen Sonntag wünsche ich dir!

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  3. Seitenglueck

    Wow, der Artikel ist ja mal der Wahnsinn, das muss ja ewig gedauert haben, den zu schreiben und zu überarbeiten, da hab ich echt Respekt vor. Und ich liebe deinen Schreibstil! Du schreibst auf den Punkt und klar, aber nicht beleidigend und auch nicht so trocken, was bei langen Texten etwas anstrengend sein kann. Ich habe deinen Artikel echt super gerne gelesen, stimme dir in allem zu und liebe vor allem das Zitat „man kann Dinge mögen, obwohl sie nicht fehlerfrei sind“. Genau so geht es mir nämlich auch bei meinen Lieblingsserien wie One Tree Hill und The 100 und natürlich auch bei Marvel Filmen. Sie sind nicht perfekt und ich liebe sie trotzdem. Deine Kritik und auch dein Lob zu Doctor Strange konnte ich absolut nachvollziehen, obwohl ich den Film nicht mochte, ich fand ihn sehr witzig und Benedict großartig und so, aber die Story fand ich eher uninteressant, der Bösewicht hat mich auch nicht beeindruckt. Als Autorin empfinde ich die „Gesetze“ der Magie genauso, weil ich das auch wichtig finde, obwohl es beim konzipieren ganz schön kniffelig sein kann. Aber man gibt ja sein Bestes 😀
    Liebe Grüße
    Yvonne 🙂

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    1. Karo

      Awww, Yvonne! Danke Dir! Es dauert in der Tat ziemlich lange, so einen Artikel zu schreiben. Recherche, Struktur, Text, Korrektur – du kennst das ja. Und dann sitzt man um 3 Uhr morgens da und fragt sich: Warum mach ich das eigentlich – interessiert das irgend jemanden, abgesehen von mir? Daher danke für deinen lieben Kommentar 🙂
      ‚Guilty Pleasures‘ hab ich super viele. Überhaupt kenne ich kaum ein Buch, eine Serie oder einen Film, der wirklich perfekt ist – wäre ja auch langweilig. Ich denke mir immer: Wenn eine Geschichte dich happy macht, dann guck sie, lies sie, hör sie – so oft du nur kannst. 😊 Liebe Grüße

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      1. Seitenglueck

        Oh ja, das kenne ich nur zu gut 😀 Bitte gerne! 🙂 Das ist die perfekte Einstellung, nur das sollte zählen. Liebe Grüße! 🙂

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  4. Moritz

    Okay, nun habe ich auch den zweiten Teil gelesen. Du hast einmal von psychidelischen Effekten im Film gesprochen. Ich wusste nicht was du damit meinst bis ich das Video gesehen habe. Ich konnte nicht mehr vor Lachen. Manchmal muss man auf die „Fehler“ und „Probleme“ erst hingewiesen werden, um sie zu sehen. Und ein zweites Mal. Verdammt spannender und gelungener Artikel!!
    Vielen Dank!

    LG Moritz

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