Das Rezept für eine gute Weihnachtsgeschichte (und eine Antwort auf die Frage, ob ‚Stirb Langsam‘ ein Weihnachtsfilm ist)

Ho Ho Ho! Es weihnachtet sehr… So behauptet man zumindest. Auf Instagram präsentiert die Buch-Bubble nur noch die festlichsten Bücher. Schmuckausgaben von Charles Dickens‘ A Christmas Carol tummeln sich neben Weihnachtsmärchen und – was gibt es Schöneres als einen festlichen Mord – den neuesten Weihnachtskrimis. Bei den Streamingdiensten sieht es ähnlich aus. Sie alle platzieren ihre jeweiligen Festtagskracher prominent in den Vorschlägen. Tis the season! Weihnachtsfilme über Weihnachtsfilme – so weit das Auge reicht. Der Grinch und Frank Cross werden bekehrt, Kevin ist allein zu Haus (wie auch der Rest von uns im Lockdown), Emma Thompson packt eine Joni Mitchell CD aus, Hans Gruber stürmt eine Weihnachtsparty und Kris Kringle verzaubert Manhattan.

Doch so richtige Weihnachtsstimmung will bei mir in diesem vermaledeiten Pandemie-Jahr nicht aufkommen. Ich habe alles versucht. Ich habe Weihnachtsgeschichten gelesen und Weihnachtsfilme geschaut – viele, viele, viele. Doch sobald der Abspann lief oder ich die letzte Seite ausgelesen hatte, verpuffte der kurzzeitig angesammelte Weihnachtszauber wieder. Zurück in der Pandemie-Unfestlichkeit. Nicht einmal der Bill Murray Klassiker Die Geister, die ich rief erzielte das, mehrere Stunden nachhallende, Gefühl festlicher Heiterkeit wie sonst immer. Von all den Weihnachtsfilmen, mit denen ich versucht habe, mein Blut mit Lametta anzureichern, war komischerweise Stirb langsam der Film, der mich noch am festlichsten stimmte. Irgendwie verschaffte es mir immense Genugtuung, keinen Weihnachtsmann zu sehen, der mit seinem Schlitten besinnlich durch die Lüfte segelt, sondern einfach ein paar Dinge, die in die Luft fliegen. BOOM! Ich weiß auch nicht, warum…

Aber Moment mal, ist Stirb langsam überhaupt ein Weihnachtsfilm? Diese Frage flammt jedes Jahr aufs Neue auf. Die einen sagen: „Ja klar, der Film spielt doch an Heiligabend!“, und die anderen sagen: „Es ist ein Action-Film, der auf einer Besinnlichkeitsskala von 0-10 ungefähr eine Punktzahl von Minus 7 erzielt.“

Also fragte ich mich, was eine Weihnachtsgeschichte eigentlich ausmacht. Können wir die Stirb-Langsam-Frage irgendwann einmal abschließend beantworten? Wodurch wird eine Geschichte zur Weihnachtsgeschichte? Ist es tatsächlich… *Trommelwirbel* Weihnachten? Dieses besinnlichste aller Feste, auf das jedes Jahr unweigerlich zuschlittert – Pandemie hin oder her? Das große dicke W im Raum?

Macht Weihnachten eine Geschichte zur Weihnachtsgeschichte?

Nun… ja und nein.

Es ist nicht zu verhehlen, dass keine Weihnachtsgeschichte ohne Weihnachten auskommt. Aber zu einer guten Weihnachtsgeschichte gehört noch ein bisschen mehr als das bloße Vorhandensein des Weihnachtsfestes. Denn wäre Weihnachten das alleinige definierende Element, wäre jeder Film und jedes Buch, in dem Weihnachten irgendwie vorkommt und irgendjemand mal eine flauschige Weihnachtsmütze oder sonstige festliche Kopfbedeckungen trägt, unweigerlich eine Weihnachtsgeschichte. Und es würde dann auch nicht jedes Jahr wieder die eben erwähnte Debatte aufkommen, ob Stirb Langsam nun ein Weihnachtsfilm ist oder nicht. Die Antwort wäre dann nämlich definitiv „JA“ und es gäbe keine weiteren Diskussionen.

Was braucht man für eine Weihnachtsgeschichte?

Was sind also die „Zutaten“ für eine Weihnachtsgeschichte? Was muss man in den Teig mixen, damit man am Ende einen saftigen, fluffigen, duftenden Weihnachtsgeschichten-Kuchen aus dem Ofen holen kann? Hier kommen sie:

1. Nostalgie

Weihnachtszeit und -zauber leben von Nostalgie – dem wohlig warmen Gefühl, das uns umgibt, wenn wir an schöne Erlebnisse aus der Vergangenheit denken. In dieser Zeit des Jahres erinnern wir uns an längst vergangene Weihnachtsfeste zurück. Als wir noch klein waren und uns der ganze Festtagsstress nichts ausgemacht hat. Wir erinnern uns vielleicht an die tollsten Geschenke, den schönsten Weihnachtsbaum, die leckersten Plätzchen. Wir erinnern uns an eine Zeit, als noch niemand fragte, ob es nicht langsam mal an der Zeit wäre, was aus dem eigenen Leben zu machen, Kinder in die Welt zu setzen oder ob man es in Anbetracht der aktuellen Kleidergröße wirklich für eine gute Idee hält, noch ein zweites Stück Kuchen zu essen.

Weihnachtsgeschichten erlauben uns, noch einmal ein Kind zu sein, indem sie genau diese nostalgischen Gedanken wachrufen. Das funktioniert besonders gut, wenn in der Geschichte Kinder vorkommen, aus deren leuchtenden Augen wir das Fest betrachten. Aber auch bei erwachsenen Figuren brauchen wir nur genug Berührungspunkte – wie einen festlich geschmückten Baum, eine alberne Familientradition oder ähnliches – um dadurch die Szenen mit unseren eigenen fröhlichen Festtagserinnerungen zu verbinden.

Wo wir schon von Traditionen sprechen: Auch davon lebt das Weihnachtsfest. In den Weihnachtstagen widmen wir uns jedes Jahr denselben Ritualen und Bräuchen. Dazu gehört auch das Erzählen oder Lauschen von Weihnachtsgeschichten – oft sind es die sogenannten Weihnachtsklassiker, die wir schon in- und auswendig kennen. Ja, Weihnachten ist die Zeit, in der wir uns Filme anschauen, die wir schon tausendmal gesehen haben. Die Chancen stehen recht hoch, dass dies Filme sind, mit denen wir Weihnachtserinnerungen aus jüngeren Jahren verbinden. Ich zum Beispiel schaue jedes Jahr die Weihnachtsgeschichte mit den Muppets. Warum? Weil sie irgendwann an Heiligabend im Fernsehen lief und wir sie zufällig gesehen haben und das so schön war, dass wir es in den Folgejahren wiederholten. Und wenn ihr irgendwann einmal z.B. Stirb langsam zu euren festlichen Geschichtentraditionen hinzugefügt habt und dieses Ritual nun jedes Jahr wiederholt, dann erfüllt euch wahrscheinlich auch dieser Actionkracher mit Nostalgie.

2. Klassisch festliche Themen

Okay unsere Nostalgie haben wir. Dann ist es jetzt an der Zeit, die Geschmacksrichtung unserer Weihnachtsgeschichte zu bestimmen. Dabei dürfen wir ganz tief in die Klischee-Kiste greifen – zu dieser Zeit des Jahres ist das erlaubt und wird nicht kritisiert, sondern befürwortet. Frei nach dem Motto: Gut ist, was uns festlich stimmt. Zur Auswahl stehen viele klassische Themen, von denen wir beliebig viele in die Schüssel geben:

Eine wundersame Verwandlung

Denken wir an klassische Protagonisten aus Weihnachtsgeschichten, wie Scrooge oder The Grinch, so haben sie oft eines gemein: Sie erfahren einen Sinneswandel. Sie beginnen die Geschichte als gemein, isoliert, grummelig – und vor allem HASSEN sie Weihnachten – und beenden sie als gesellig und freundlich, mit einer ganz anderen Sicht auf die Festtage. All das, weil ihnen die wahre Bedeutung von Weihnachten vor Augen geführt wurde: Nächstenliebe, Beisammensein und all die anderen festlichen Sentimentalitäten. Ihr Herz wird größer (im Falle des Grinches nicht nur im übertragenen Sinne) und sie verändern ihr Leben grundlegend.

Home sweet home

Weihnachten ist für viele die Zeit, in der sie ins elterliche Nest zurückkehren. Zurück zu den Liebsten, die man schon so lange nicht gesehen hat. Zurück in die Heimatstadt, in der sich gefühlt nie etwas verändert. Driving Home For Christmas und so weiter. Das Zuhause ist für Weihnachtsgeschichten ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt.

Gleichzeitig ist auch die Abwesenheit eines solchen Ortes, an dem man mit seinen Liebsten zusammenkommen kann, ein wichtiges Thema. Weihnachtsfilme und -geschichten erinnern uns daran, dass nicht jede:r ein Zuhause hat und dass nicht jede:r mit wundervoll rührseligen Festtagen aufgewachsen ist. Denkt nur mal an die herzzerreißende Szene aus dem The Grinch-Film von 2018, in der wir lernen, warum der Grinch Weihnachten hasst: (SPOILERALERT) Weil er als Waisenkind kein Zuhause hatte, keinen herrlich gedeckten Tisch, keine Menschen, mit denen er Weihnachten feiern konnte.

Oft werden wir in Weihnachtsgeschichten lernen, dass das Zuhause allerdings kein physischer Ort ist, sondern immer durch Menschen definiert wird. Kevin im Weihnachtsklassiker Kevin Allein Zuhaus macht beispielsweise die Erfahrung, dass es zwar nett ist, das Haus für sich zu haben, aber dass es eben, ohne die Menschen darin, nur ein Haus ist, kein Zuhause. Die Szene, in der Kevins Mutter zuhause ankommt und er sie endlich wieder in die Arme schließen kann, lässt uns daher alle – egal wie oft wir den Film schon gesehen haben – leise „Awwww“ sagen.
Das führt uns direkt zum nächsten Punkt:

We are family

Aaaaah, ja. Weihnachten, das Fest der Familie! Unter einem Dach kommt einmal im Jahr die ganze Verwandtschaft zusammen. Wie schön! Das birgt neben herzzerreißenden „Wir haben uns alle so vermisst“ Szenen, natürlich auch einiges Konfliktpotential. Weihnachtsgeschichten schildern oft Weihnachtsdramen um verbrannte Braten und kaputte Geschenke, zu denen sich langjährig schwelende Konflikte aus Teenagerjahren und ungelöste Kindheitsdramen gesellen. Sticheleien, Streits, verletzte Gefühle – all das passiert, obwohl oder grade weil Weihnachten ist und Menschen zusammenkommen, die sonst sehr unterschiedliche Leben führen.
Aber nach klassischer Weihnachtsgeschichten-Manier wird all das am Ende keine Rolle mehr spielen und alle haben sich lieb. Ist ja schließlich Weihnachten, nicht wahr?

Sidenote: Weihnachtskrimis nach guter alter Whodunit-Art spielen oft besonders schön mit den Themen Zuhause und Familie. Eine Gruppe von Menschen – meist miteinander verwandt – kommt in einem festlichen, heimeligen Umfeld zusammen. Es wird gestichelt, gescherzt, gelacht, gezankt – wie es halt so ist, an Weihnachten.  Aber dann passiert etwas, das dieser Heimeligkeit einen saftigen Dämpfer verpasst: Ein Mord! DAM DAM DAM! Und nach und nach kommen alle dunklen Geheimnisse, die unter dieser festlich-familiären Decke schlummern zum Vorschein. Tralalalalaaalalalalaaa.

Believe in magic, you muggles!

Wir, als Erwachsene, leben in einer Welt, in der wir uns in einem alltäglichen Trott aus Arbeit und Rechnungen, Haushalt und dem Wunsch nach mehr Schlaf bewegen. Unser Blick auf die Welt ist oft zynisch. Und doch gab es sie, diese Zeit in unserem Leben, in der wir es als selbstverständlich hinnahmen, dass ein dicker bärtiger Mann an nur einem Abend die ganze Welt mit Geschenken versorgen konnte und fliegende Rentiere als Haustiere hielt. Möglich war das durch Magie, deren Existenz wir nicht infrage stellten.

Geschichten, in denen irgendeine Art von „Christmas Magic“ vorkommt, sprechen daher einen Teil in unserem Leben an, den wir lange hinter uns gelassen haben. Eine Zeit, in der wir noch wirklich an etwas – nämlich Magie – geglaubt haben. Deshalb funktioniert auch die, aus Sicht eines zynischen Erwachsenen hanebüchen und albern anmutende, Story von Das Wunder von Manhattan so gut. Eine Gerichtsverhandlung darüber, ob Kris Kringel wirklich der Weihnachtsmann ist? Alle plem-plem, oder was? Nein, liebe Erwachsene, es ist einfach schön, an etwas zu glauben – und sei es an den Weihnachtsmann.

Einsamkeit, Trauer, Verzweiflung, Tod

Nicht so festliche Worte, was? Doch seien wir doch mal ehrlich – auch sie gehören zum Weihnachtsfest dazu. Nicht jede:r hat ein Zuhause, oder Menschen, mit denen man die Festtage verbringt, nicht jede:r überstand das Jahr mit dem Glück, die Liebsten noch bei sich zu haben. Let‘s face it: Nicht jeder Mensch ist zu dieser Zeit so glücklich, wie es uns die festlichen Weihnachtswerbespots weißmachen wollen. Themen wie Trauer, Einsamkeit und Verzweiflung spielen deshalb auch – und vielleicht besonders – in Weihnachtsgeschichten eine Rolle. Man denke beispielsweise nur daran, dass sich der Protagonist im Festtagsklassiker It’s a Wonderful Life zu Beginn des Filmes das Leben nehmen will.

In Weihnachtsgeschichten werden all diese Probleme auf irgendeine festliche Art und Weise überwunden. Zum Beispiel durch irgendeinen Geist der Weihnacht, der den Figuren wichtige Lektionen über Beisammensein und Nächstenliebe erteilt oder durch die freundlichen Worte eines Fremden und natürlich durch…

Love… actually

Küsse im Schnee, Küsse unterm Mistelzweig, Küsse vorm Tannenbaum – was ist Weihnachten doch für eine tolle Zeit, sich zu Verlieben! Himmelherrgott, ist das romantisch alles! Filme wie Love…actually und andere Festtagsromanzen nehmen das ‚Fest der Liebe‘ wörtlich. Es wird sich neu verliebt, oder man entdeckt, dass der beste Freund des Ehemannes in einen verliebt ist, und dass Liebe alles – von gesellschaftlichem Status über Seitensprünge und Trauer und was weiß ich nicht noch alles – überwinden kann. Ganz wichtig bei solchen Geschichten ist, die Themen Liebe und Romantik keinesfalls sparsam einzusetzen. Nein, nicht weniger ist mehr. Mehr ist mehr! Die Liebe darf nicht leise wie Schnee vom Himmel rieseln. Nein, sie muss mit Schneekanonen abgefeuert werden. Bäm, bäm, bäm!

Rettung und Erlösung

Weihnachten muss ausfallen, liebe Kinder! Etwas Schreckliches ist passiert und die Geschenke und überhaupt der ganze Weihnachtszauber werden euch in diesem Jahr nicht erreichen. Die Liste der Festtagsruinierer ist unendlich: Schlechtes Wetter, das Santa am Geschenkeverteilen hindert, geklaute Geschenke, Terroristen, die in eine Weihnachtsparty im Nakatomi Plaza platzen – man kennt das ja.
Doch halt, was hör ich da! Ein Underdog naht, der das Fest retten wird! Jahaa! Rudolph das rotnasige Rentier wird den Schlitten durch schlechtes Wetter leiten – und das obwohl die anderen Rentiere ihn nicht bei ihren Rentierspielen haben mitspielen lassen! Der Grinch gibt – Plottwist – die Geschenke (dank Sinneswandel) selbst zurück und John McClane sorgt dafür, dass Hans Gruber vom Nakatomi Tower stürzt. Das Weihnachtsfest ist gerettet! Hurra!

Doch die Rettung muss sich nicht immer auf das Weihnachtsfest an sich beziehen. Nein, dieses Thema kann auch auf andere Weise angegangen werden. Zum Beispiel, indem Figuren von ihren persönlichen Dämonen, Schmerzen und all dem Groll, den sie in sich tragen, erlöst werden. All das durch die Festtagsmagie, durch Gedanken der Nächstenliebe, durch das Besinnen auf den eigentlichen Geist der Weihnacht. Ganz im Sinne des klassischen Weihnachtsliedes ‚Stille Nacht‘: Christ, der Retter ist daaaaaa.

Allein durch diese Zutaten wird aber aus dem Kuchen noch lange kein Festtagsgebäck. Man kann diese Themen auch abseits von Weihnachten verwenden. Denn Geschichten über Familie, über Erlösung, Rettung, Einsamkeit, Sinneswandel und Magie kann man freilich ohne festlichen Kladderadatsch erzählen. Deshalb kommt jetzt die wichtigste Zutat.

3. Das große dicke W – und alle damit verbundenen Emotionen

Ihr ahnt es: Weihnachten. Diese Zutat ist wirklich unabdingbar. Es ist nicht wie bei Butter, die man auch durch Margarine ersetzen kann. Nein, wir können hier nicht auf Ersatzprodukte wie Ostern oder Pfingsten ausweichen. Und es ist auch nicht damit getan, das Fest einfach in die Schüssel zu werfen. Nein, man muss Weihnachten gut mit den anderen Zutaten vermischen. Weihnachten ist das, was die Story zusammenhält und das, was unsere Gefühle und Erwartungen lenkt.

Das ist so, weil Weihnachten ein Fest ist, das viele Emotionen in uns hervorruft. Manche hassen es, manche lieben ist, manche werden sentimental, manche sind angewidert von all dem heuchlerischen Kitsch, der von dringenderen Problemen auf der Welt ablenken soll. So unterschiedlich wie die Emotionen der Zuschauer:innen oder Leser:innen bezüglich des Weihnachtsfestes sind, so unterschiedlich können Weihnachtsgeschichten auf das Fest blicken. Sie können z.B. zynisch, satirisch, romantisch, sentimental usw. sein. Aber der entscheidende Punkt ist, dass das Vorhandensein des Weihnachtsfestes in einer Weihnachtsgeschichte beeinflusst, wie wir die Geschichte wahrnehmen und wie wir uns fühlen (sollen).

Nehmen wir zum Beispiel Charles Dickens‘ A Christmas Carol – vermutlich die bekannteste Weihnachtsstory. Sicherlich könnte man eine Geschichte über einen Mann, der durch den Besuch von Geistern und Zeitreisen einen Sinneswandel erlebt und sein Leben ändert auch ohne Weihnachten erzählen. Aber der Fokus auf das Weihnachtsfest macht die Geschichte tausendmal sentimentaler und wirkungsvoller. Das Weihnachtsfest verstärkt alles, was wir während dieser Geschichte empfinden. Wir sollen darüber erschaudern, dass Scrooge eingangs so grausam ist. Darüber, dass er nicht einmal zu dieser Zeit den Ärmsten sein Geld oder wenigstens sein Mitgefühl leiht. Während Scrooges Reise in vergangene, derzeitige und zukünftige Weihnachtsfeste, sehen wir vieles, das uns vor allem wegen des Weihnachtsfestes traurig oder glücklich stimmt: Die Familie Cratchit, die trotz ihrer Armut ein so frohes Fest verbringt, in deren zukünftiger Weihnacht jedoch schwere Schicksalsschläge warten; Scrooge, der in seiner Jugend unbeschwerte, fröhliche Weihnachtstage verbrachte, um dessen Tod am Weihnachtstag in der Zukunft jedoch niemand weint.

Die Frage, die man sich also stellen muss, wenn man bestimmen möchte, ob eine Geschichte eine Weihnachtsgeschichte ist, lautet daher nicht, ob Weihnachten darin vorkommt. Sie lautet: Kann man dieselbe Geschichte auch ohne Weihnachten erzählen und dabei denselben Effekt bei Zuschauer:innen oder Leser:innen erzeugen? Im Falle von Weihnachtsgeschichten wie A Christmas Carol lautet die Antwort auf diese Frage: Nein.

Was ist denn nun mit ‚Stirb Langsam‘?

Und das, liebe Kinder, liefert auch die Antwort darauf, ob Stirb Langsam ein Weihnachtsfilm ist. Die Antwort lautet immernoch: Ja!

Als reinen Actionfilm könnte man die Geschichte auch ohne Weihnachten erzählen. Dann würde die Verbrechergruppe um Hans Gruber eben keine Weihnachtsfeier, sondern irgendeine andere beliebige Party stürmen. Aber würde die Story bei uns genau so ankommen? Nein, Stirb Langsam wäre ohne Weihnachten eine ganz andere Erfahrung.
 
Das Weihnachtssetting beeinflusst maßgeblich, wie wir den Film wahrnehmen: Eine Geiselnahme – zu Weihnachten!? Wie skrupellos können diese Verbrecher eigentlich sein!? Haben die denn überhaupt keine Scham? Und dann sind da natürlich McClanes familiäre Probleme: Eine Ehe, die zu scheitern droht. Zum „Fest der Liebe“ empfinden wir das als besonders dramatisch.

Wir finden in Stirb langsam außerdem sogar einen Funken Nostalgie: Das Knacken des Safes durch die Räuber/Terroristen während im Hintergrund die Ode an die Freude zu hören ist, gleicht dem Öffnen eines riesigen Weihnachtsgeschenks – und die großen Geschenke waren damals, als wir klein waren, immer die besten!

Und dann sind da noch die etlichen Weihnachtsthemen: Ein Außenseiter wird allen Widrigkeiten zum Trotz – er hat nicht einmal Schuhe an – zum Retter und Erlöser des Festes. Und er erwartet nichts, keinen Dank. Alles, was er will, ist seine Frau endlich wieder in die Arme zu schließen und Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen. Rettung, Erlösung, Liebe, Familie – klassische Weihnachtsthemen, ick hör euch trapsen! Und ist es nicht romantisch, wie am Ende das Diebesgut wie Schnee vom Himmel fällt? Es ist ein Weihnachtswunder!

Wir halten also fest: Für eine Weihnachtsgeschichte brauchen wir Nostalgie, klassische Weihnachtsthemen wie Liebe, Erlösung, Rettung, Familie oder Zuhause und natürlich – ganz wichtig – eine große Portion Weihnachten. Das garnieren wir (optional) mit Schnee und weihnachtlich dekorierten Schauplätzen und vielleicht mit festlicher Musik. Voilà: Unsere Weihnachtsgeschichte ist fertig! (Wir halten außerdem fest: Stirb langsam ist ein Weihnachtsfilm!)

In diesem Sinne: „Yippee-Ki-Yay, motherf*****!“ Ach, nein, halt. Ich meine natürlich: Frohe Weihnachten, ihr lieben Menschen!


Bei diesem Artikel haben die folgenden Beiträge geholfen:

Hollywoodreporter: What Defines a Christmas Movie. Discuss
Screencraft: How to Write a Great Holiday Movie: 7 Essential Ingredients
The Calabasas Courier: Classic holiday movies offer comfort through common themes
The Conversation: Christmas movies: that time of year when home is where your heart is

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There are 7 comments

  1. nina. aka wippsteerts

    Oh, irgendwie habe ich darauf gewartet (Weihnachteeeeen!),dass von Dir noch ein Weihnachtsfilme Artikel kommt, weil….Weihnachtserwartungen.
    Und sage gleich als erstes“ Dankeschön!“
    Natürlich gehöre ich zur Fraktion derer, die Stirb Langsam für einen Weihnachtsfilm halten. Wie Du schon schreibst, Familienzusammenführung, Weihnachtsfeier und Konflikt, Held(in) und gefühlsduseliges Happy End. Oh, man weiss, er wird seine Holly finden, mit blutigen Füssen und Hemme, die Decke um die Schultern, immer wieder eigene. Und doch ist das immer wieder DIE SZENE.
    (Übrigens, wenn wir schon bei untypischen Weihnachtsfilme sind: Klaus! (Netfi*))
    Ostern, Pfingsten, die sind nicht in der dunkelsten Jahreszeit, wenn es der Seele nicht gut geht, allein, weil dem Körper biologisch die Sonne fehlt. Wintersonnenwende. Wir brauchen da einfach diese Hoffnung.
    Und so werde ich mir weiter Kitsch und Herz Schmerz reinziehen, ein gemütliches Fest feiern, noch mehr an dem dicken Po arbeiten, mit ganz viel Hoffnung.
    Hab auch ein schönes Fest, ich sage und schreibe immer häufiger „trotzdem“, wie ein trotzig es Kind, das mit dem Fuss aufstampft ☺
    (Auch wenn wir unsere Erwartungshaltung niedriger hängen müssen)
    Virtuellen Drücker und herzliche Grüße
    Nina
    (PS, kennst Du schon Terry Pratchetts Hogfather? Auch als Film sehr zu empfehlen!)

    Gefällt 1 Person

    1. Karo

      Liebe Nina, danke dir für deinen tollen Kommentar! Ich hoffe du hattest, trotz Pandemie, ein frohes Weihnachtsfest und konntest es ein wenig genießen. Und auch danke für die Tipps. Hogfather werde ich mir mal anschauen. Klaus kenne ich – der schönste Weihnachtsfilm seit langem!
      Komm gut ins neue Jahr und fühl dich gedrückt!
      Liebe Grüße
      Karo

      Gefällt 1 Person

  2. Katharina

    Top! Den Text lass ich ab jetzt jeden lesen, der mir bei Stirb Langsam wiederspricht. 😅 Ich denke, einige Weihnachtsfilme können auch nur für einen selbst solche sein, weil man sie jedes Jahr sind und/oder etwas damit verknüpft. Die Sissi-Filme zum Bsp oder Das letzte Einhorn zu Ostern.
    Auf jeden Fall toll geschrieben. 😇 Ich wünsche dir schöne Feiertage. 🌟

    Gefällt 1 Person

    1. Karo

      Hallo Katharina, danke für das Lob!
      Und du hast vollkommen recht, es können auch unweihnachtliche Filme für einen selbst zur Weihnachtszeit gehören. Für mich sind das zum Beispiel die Harry Potter Filme 🙂
      Ich hoffe, du hattest schöne Feiertage und wünsche dir einen guten Rutsch ins neue Jahr!

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  3. Ute

    Schöner Post! Und ja: bei einer Weihnachtsgeschichte geht es um die Kombi Feiertag und Emotionen.
    Und bei “Stirb langsam” geht es – wie bei allen anderen Weihnachtsfilmen auch – um Tradition, um ein festes Ritual.
    Übrigens geht’s mir dieses Jahr wie dir: Stimmung ist Mangelware, und die kommt auch bei den üblichen Filmen nicht auf (gestern hat “Der Grinch” mich eigentlich nur leicht aggressiv gemacht). Allerdings bin ich sowieso nicht so ein Weihnachts-Mensch. Mal gucken, ob “Stirb langsam” es dann für mich rausreißt, wenn ich den mit der Kernfamilie gucke. Ein bisschen gutes altes Kawumm dürfte gut tun!
    Beste McClane-Grüße!
    Ute

    Gefällt 1 Person

    1. Karo

      Yippieh-Ki-Yo! Ich hoffe, Stirb Langsam hat bei euch für Weihnachtsstimmung gesorgt 🙂
      Welchen Grinch Film hast du dir angesehen? Den animierten von 2018? Der verzaubert mich immer – einer meiner Lieblingsweihnachtsfilme. Die Variante mit Jim Carrey macht mich allerdings auch extrem aggressiv 😀
      Viele Grüße und einen guten Rutsch!
      Karo

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