[GELESEN] Jon Ronson: The Psychopath Test

Habt ihr auch manchmal das Gefühl, dass die ganze Welt verrückt geworden ist? Wenn nicht, habt ihr es spätestens nachdem ihr Jon Ronsons The Psyhopath Test – A Journey through the Madness Industry gelesen habt. Versprochen.

IMG_20170825_131525_758Jon Ronson ist ein investigativer Journalist aus Großbritannien, der insbesondere durch sein Buch The Men Who Stare at Goats (Männer die auf Ziegen starren) internationale Berühmtheit erlangt hat. Seine Arbeit befasst sich oft mit kontroversen oder ungewöhnlichen Themen.
In The Psychopath Test begleiten wir Mr. Ronson dabei, wie er herausfindet, was Psychopathen ausmacht und warum sie so gefährlich sind, mit Experten und waschechten Psychopathen spricht, einen Blick in die Vergangenheit der Forschung und obskure Heilansätze wirft und schließlich eine Gesellschaft beleuchtet, in der Psychopathen in die höchsten Ämter aufsteigen können und Verrücktheit generell gleichsam gefördert und gefürchtet wird.

Gekauft hatte ich das Buch, wie so oft, weil es der Goodreads-Algorithmus als passende Lektüre für mich ausgewählt hat. Vielleicht weil das Cover an Harry Potter erinnert oder weil ich häufig Sherlock Holmes Geschichten lese, der ja angeblich psychopathische Züge an den Tag legt und man deshalb denken könnte, ich würde mich für das Thema potentiell interessieren. So genau weiß keiner, wie dieser Algorithmus funktioniert. In jedem Fall lag er mal wieder richtig. (Genauso wie diesimulantin von wortgewald, deren schöne Rezension mich dazu bewogen hat, das Buch jetzt doch mal von Stapel ungelesener Bücher zu picken.)

Mal davon abgesehen, dass dieses Büchlein einfach furchtbar unterhaltsam und witzig geschrieben ist, habe ich eine Menge dazugelernt – und das mag ich sehr (Lehrerkind und so). Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass die meisten Psychologen die Begriffe Psychopath und Soziopath synonym verwenden. Wenn BBC’s Sherlock also sagt, „I’m not a psychopath. I’m a high functioning sociopath.“ , sagt er eigentlich: „I’m not a psychopath. I’m a high-functioning psychopath.“
Kernstück des Buches ist allerdings die „Psychopathy Checklist“ – entwickelt vom kanadischen Psychologen Bob Hare – die bei der Indentifizierung von Psychopathie Anwendung findet. (Die vollständige Liste findet ihr zum Beispiel in diesem Wikipedia Artikel).
Wie den Autor, macht diese Liste allerdings auch den Leser etwas paranoid. Denn hat man erst einmal gelernt, Psychopathen zu erkennen, erkennt man sie überall. Im Weißen Haus sitzt zum Beispiel einer – und er ist nicht der einzige erfolgreiche Psychopath. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass fehlende Empathie, ein überhöhtes Selbstbild und manipulatives Verhalten charakteristisch für Psychopathen sind, und das durchaus Eigenschaften sind, die einen beruflich voranbringen können.
Aber es sind nicht nur Wirtschaftsbosse und Präsidenten – ca. 1% der Gesamtbevölkerung sind Psychopathen. Die Chancen stehen also gut, dass man auch selbst schon ein paar getroffen hat. Das Buch verleitet geradezu dazu, im Kopf das „Find the Psychopath!“-Spiel zu spielen. Plötzlich beginnt man, überall nach Psychopathen zu suchen. Auf der Arbeit, in der eigenen Vergangenheit, im Bekanntenkreis und, ja, natürlich auch in sich selbst. Ihr dürft allerdings beruhigt sein: Meine Punktzahl auf der „Psychopathy Checklist“ ist unglaublich niedrig. Aber ich bin mir, nach dem Lesen dieses Buches, ziemlich sicher, dass ich schon mit dem einen oder anderen Psychopathen in Kontakt gekommen bin.

Im letzten Drittel entfernt sich der Autor etwas vom Thema Psychopathie und wirft stattdessen einen Blick auf unsere Gesellschaft. Ronson beschäftigt sich hier unter anderem mit der Frage, warum wir keine „normalen“ Menschen im Fernsehen sehen wollen, sondern Menschen, die wenigstens ein bisschen abseits der Norm agieren und was wir als „the right sort of madness“ empfinden. Das wirkte auf mich zunächst so, als würde der Autor seinen Fokus verlieren und vom Thema – The Psychopath Test – abschweifen. Tatsächlich greift er aber eher den Untertitel – A Journey through the Madness Industry – auf. Dieser kleine Ausflug ist, wenn man sich denn auf ihn einlässt, ebenso und aufschlussreich wie der Part über die Psychopathen – wenn auch, zumindest für mich, etwas weniger unterhaltsam. Aber nur etwas – quasi jammern auf hohem Niveau.

Alles in allem ist The Psychopath Test – A Journey through the Madness Industry die richtige Mischung aus Information und Unterhaltung. Aufschlussreich, interessant und dabei witzig, locker und – ja – vielleicht sogar auch ein bisschen verrückt.


Infos zum Buch

Titel: The Psychopath Test – A Journey through the Madness Industry
Autor: Jon Ronson
Verlag: Picador
Erstveröffentlichung: 2011
ISBN: 978-0330492270
Seiten: 304
Deutscher Titel: Die Psychopathen sind unter uns: Eine Reise zu den Schaltstellen der Macht (aus dem Englischen von Martin Jaeggi, Verlag: Tropen, ISBN: 978-3608503128)

 

There are 7 comments

  1. Miss Booleana

    Das Buch habe ich letztes Jahr auch gelesen und sehr genossen – besonders gegen Ende. Wie offensichtlich gefühlskalt manche der Psychopathen sind, die er trifft, hat mich manchmal still während des Lesens den Kopfschütteln lassen. V.A. bei dem Gedanken, dass es die Menschen wirklich gut.
    Aber damit dass Psychopathie und Soziopathie gleichgesetzt werden, habe ich immer noch ein Problem. Ich meine im europäischen Raum ist Soziopathie eine Sonderform der Psychopathie oder sogar was ganz anderes. Aber ich bin nicht vom Fach.

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    1. Karo

      Mir kam es auch komisch vor, dass es da keinen Unterschied geben soll. Hab dann ein bisschen nachgeforscht im Netz: Es gibt dazu diverse Ansichten. Wenn ich mir die Merkmale eines Soziopathen aber so anschaue, treffen die auch auf Psychopathen zu. Mir erschließt sich der Unterschied – wenn es denn einen gibt – deshalb nicht so wirklich.

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  2. thevelvetletters

    Ich hab ja schon mal hin und wieder so einen Onlinetest gemacht (ich verrat lieber nicht, was dabei rauskam ^^), aber ich glaub, ich würd mich nicht trauen, sowas zu lesen, weil es mich dann doch zu paranoid machen würde, wie Du so schön beschrieben hast 😀

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  3. nachtigallenfriedhof

    Deine Rezension hat mir so ein wenig die Augen geöffnet. 😀 Ich bin mit der Vorstellung an das Buch rangegangen, dass ich jetzt ein Sachbuch über Psychopathen lese, aber es ist ja eher ein Buch über Ronson und seine Erfahrung mit dem Psychopathentest. Und die ist wirklich witzig geschrieben. Wenn ich mal wieder zu einem Buch von Ronson greife, werde ich versuchen, offener an die Lektüre zu gehen. 🙂
    Andererseits hatte ich auch den Eindruck, dass er sich an manchen Stellen etwas im Plaudern verliert. Im Vergleich zum Psychopath Test kann man in So you’ve been Publicly Shamed besser nachvollziehen, warum er an welcher Stelle gerade diesen Einschub bringt.

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    1. Karo

      Oho! Jemandem ein wenig die Augen öffnen – das ist ein wunderbares Kompliment 🙂 Danke!

      Du hast vollkommen recht, Herr Ronson plaudert tatsächlich recht viel. Aber ich hab das irgendwie nicht so empfunden, weil ich sein Geplaudere interessant und ihn sympathisch fand 😀

      ‚So you’ve been Publicly Shamed‘ steht auch noch auf meiner Leseliste. Aber ich wollte es erstmal mir „Men who stare at goats“ versuchen.

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